Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

» ES GEHT UM DIE ZUKUNFT DER MENSCHHEIT, DIE BEDROHT IST « E r ist der einzige Wirtschafts- experte, der die Finanzkrise von 2008 zutreffend vorher- gesagt hat.“ Mehr anerken- nendes Lob geht kaum. Gesagt hat das der renommierte Finanzmathematiker Nassim Taleb über den US-Ökonomen Nouriel Roubini, der gerade sein jüngstes Buch mit dem Titel „Megathreats“ ver- öffentlicht hat, unter dem es auch auf Deutsch erschienen ist. „Zehn Bedrohun- gen unserer Zukunft und wie wir sie überleben“ lautet der Untertitel, der erahnen lässt, worum es Roubini geht: Er will darauf aufmerksam machen, dass die Menschheit vor einer Reihe von Problemen steht, die es ernst zu nehmen gilt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen. Ihr neues Buch handelt von zehn Mega- bedrohungen, vor denen wir stehen. Ist es wirklich so schlimm, oder ist eine solche Rhetorik nötig, um ein Buch zu verkaufen? Nouriel Roubini: Auch wenn ich glaube, dass man die Menschen aus ihrer eigenen Selbst- zufriedenheit herausholen muss, weil sie zu lang den Kopf in den Sand stecken: Es geht mir nicht darum, Panik zu schüren oder zu übertreiben, um die Verkaufszahlen meines Buchs nach oben zu treiben. Jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, stimmt zu, dass diese Bedrohungen absolut real sind. Man mag streiten, wie schwerwiegend ein- zelne Aspekte sind und welche Entwicklung in Zeitlupe oder im Zeitraffer ablaufen wird. Aber ich kann für jedes Megathema aus dem Stegreif fünf Beispiele nennen, wie es sich in naher Zukunft materialisieren kann. Wir müssen uns damit befassen, sonst wer- den uns diese Bedrohungen zum Verhäng- nis. Nicht nur unserer Wirtschaft und unse- ren Ersparnissen, nicht nur den Finanzmärk- ten und nicht nur dem Planeten. Es geht buchstäblich um die Zukunft der Mensch- heit, die bedroht ist. Aber trauen Sie sich eine Art „Hierarchie der zehn Megabedrohungen“ zu? Nouriel Roubini: Natürlich stehen einige eher unmittelbar bevor. Mein erstes Kapitel habe ich nicht umsonst mit „Die Mutter aller Schuldenkrisen“ über- schrieben. Die Weltwirtschaft ist schon seit einiger Zeit mit einer nicht zu unterschätzenden Inflation konfrontiert, gleichzeitig ist der Eintritt in eine Rezession nur noch eine Frage der Zeit – die Eurozone steckt schon mittendrin. Vie- le haben aber noch nicht verstanden, dass wir es mit einer Art Kombination der schlimmsten zwei Kri- senphasen zu tun haben, die wir kennen: der Stagflation der 1970er-Jahre und der Schuldenkrise von 2008. Wir werden also die schlimmste Krise der Geschichte erle- ben, die ich als „stagflationäre Schulden- krise“ bezeichne. Und das ist bei Weitem nicht alles, was mir Sorgen bereitet. Was noch? Nouriel Roubini: Es ist die gleichzeitige Verbindung mit einer Situation, die ich geopolitische Depression nenne. Damit meine ich nicht nur den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der allerdings das Potenzial hat, sich zu einem nicht- konventionellen Krieg auszuweiten, in dem die Russen nicht nur taktische Atomwaffen einsetzen könnten; es gibt Szenarien, in denen die NATO bald ebenfalls in diesen Konflikt verwickelt werden könnte. Gleich- zeitig ist ja keineswegs die Gefahr gebannt, dass sich der Kollisionskurs zwischen Israel Der US-Ökonom Nouriel Roubini gilt als scharfer Analytiker, der sich nicht scheut, den Finger in die offenen Wunden von Wirtschaft und Finanzindustrie zu legen. Mit seinem neuesten Buch hält er uns erneut einen Spiegel vor, in den nicht jeder gern hineinschaut. Nouriel Roubini Nouriel Roubini ist emeritierter Professor an der Stern School of Business der New York University. Der 1958 in der Türkei geborene Ökonom lebt seit 1983 in den USA, Mitte der 90er-Jahre erhielt er die amerikanische Staatsbürger- schaft. Seine oft düsteren Prognosen, die in aller Regel jedoch eingetroffen sind, brachten ihm den Bei- namen „Dr. Doom“ ein. » Wir müssen uns damit befassen, sonst werden uns diese Bedrohungen zum Verhängnis. « Nouriel Roubini, New York University FOTO: FEDERICO BERNINI | © 2018 BLOOMBERG FINANCE LP T H E O R I E & P R A X I S | NOUR I E L ROUB I N I | NEW YORK UN I VERS I TY 86 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com

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