Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

unbedingt so negativ sehen. Für mich ist das größte persistente Risiko der vergange- nen Jahrzehnte die immer weiter sinkende Produktivität imWesten. Diese wurde durch niedrige Zinsen und immer neue Rettungs- programme noch weiter befeuert. Ich mei- ne, ganz ehrlich: Mit all dem Geld, das da verteilt wurde, hätte auch ein Pudel einen Konzern führen können. Das war aus meiner Sicht wirklich keine große Heraus- forderung. Und diese rückläufige Produk- tivität ist mit der damit einhergehenden rückläufigen Wettbewerbsfähigkeit meiner Meinung nach die Hauptursache für das, was an den Märkten passiert ist. Es wäre angesichts der langfristigen Produktivitäts- verluste und der hohen Bewertungen ohne- hin passiert. Der Krieg, Putin – das sind also nicht nur Katalysatoren, sondern auch ein wenig eine Ausrede. Denn kein Asset Manager, kein Investor sagt gern, dass seine Assets schlichtweg teuer sind. Ich finde es ohnehin seltsam, dass es zuhauf Geschäfts- modelle gibt, die Zinsanhebungen auf zwei oder vier Prozent nicht aushalten. Ein der- artiges Zinsniveau ist ja nichts Neues und war vor dem Jahr 2008 auch nicht unge- wöhnlich. Das heißt, Sie sind für die Zinsanhebungen und eine Rückführung von Anleihenkaufpro- grammen? Stuart Kirk: Ja, absolut. Ich weiß, das wird weh tun, aber manchmal muss es das ein- fach. Es wird zu einer Bereinigung an den Märkten kommen, auch am Jobmarkt. Das sehen wir ja jetzt beispielsweise schon bei Meta oder Twitter. Wenn das vorbei ist, fin- den wir uns in einer Umgebung mit niedri- gerer Beschäftigung wieder, was auf der Makroebene aber nicht schlimm ist, weil die Produktivität steigt. Dazu kommen dann wieder niedrige Zinsen und eine geringe In- flation. Wir würden uns in einem Szenario wiederfinden, wie wir es in den 1990ern ge- sehen haben. Und das war ja nicht schlecht. Bis dahin müssen Asset Manager und die teils mit ihnen verwobenen Banken die aktu- ell enorm hohen Volatilitäten überstehen? Stuart Kirk: Ich muss da immer ein wenig lachen, wenn sich Asset Manager, die sich zuvor über langweilige, dahindümpelnde Märkte beklagt haben, nach Einstiegsvolati- litäten sehnen und sich dann wieder bekla- gen, wenn sich diese Volatilitäten eingestellt haben. Jedes Marktumfeld ist auf seine Art schwierig. Es gibt keinen einfachen Markt, man muss immer outperformen. Die Klagen liegen vielleicht auch daran, dass die meis- ten Manager kaum Krisenerfahrung haben. Ich bin damals kurz vor der Lehman-Pleite für die „Financial Times“ nach New York gegangen. Die Stimmung zu dieser Zeit war apokalyptisch. Wir dachten, die Welt würde untergehen. Ist sie aber nicht. „Apokalypse“ ist angesichts des politischen Chaos in Großbritannien kein schlechter Übergang, um nach dem Brexit zu fragen. In einem „Guardian“-Kommentar tauchte die Forderung an Labour auf, an einer Rückab- wicklung des EU-Austritts zu arbeiten. Stuart Kirk: Das sehe ich zurzeit gar nicht. Eher im Gegenteil. Das ist alles noch nicht lang genug her, die Wunden sind noch zu frisch. Ich orte eher eine parteiübergreifen- des Angst, das Thema auch nur anzuspre- chen. Viele Probleme, die das Land derzeit hat, hängen ursächlich mit dem Brexit zusammen. Nur traut sich das gerade nie- mand auszusprechen. Insofern würde ich auf absehbare Zeit mit keiner Debatte in dieser Richtung rechnen. Zum Abschluss zurück zu Ihnen selbst: Was kommt als Nächstes? Was sind die Pläne? Stuart Kirk: Ich bin mir noch gar nicht so si- cher. Im Sommer habe ich mir eine Auszeit genommen. Vielleicht gehe ich in den Finanzsektor zurück, vielleicht mache ich mich selbstständig. Fix sind zunächst ein- mal meine neue Kolumne für die „Financial Times“ und die Tätigkeit als Vortragender. Wir danken für das Gespräch. HANS WEITMAYR » Mit all dem Geld, das in Umlauf war, hätte ein Pudel einen Konzern führen können. « Stuart Kirk T H E O R I E & P R A X I S | S TUART K I RK 84 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © TOM BIRTCHNELL

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