Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Stuart Kirk: Das kann man so sehen. Auf der anderen Seite bleibt einem nicht viel Spiel- raum, wenn einem der CEO und auch der direkte Vorgesetzte öffentlich das Vertrauen entziehen. Sie wären also lieber geblieben? Stuart Kirk: Natürlich. Ich habe meine Arbeit dort geliebt, habe auch viel aufgebaut und ein hervorragendes Verhältnis zu meinem direkten Vorgesetzten gehabt. Wie ist das Verhältnis jetzt? Stuart Kirk: Seit dem Vorfall hat niemand von HSBC mit mir geredet. Weder meine Vorgesetzten noch die Leute, die ich ein- gestellt habe. Ich wurde zu einer Art Aus- sätzigem. Das ist schmerzhaft. Sie haben vor den Gefahren für die Branche aus dem ESG-Bereich gewarnt. Welche sollen das sein? In Europa wirkt es so, als würden sich Nachhaltigkeitsaspekte ver- festigen – auch von regulatorischer Seite. Stichwort: Taxonomie. Stuart Kirk: Gerade von dieser regulatori- schen Seite droht keine unbeträchtliche Gefahr. Bis jetzt weiß beispielsweise immer noch niemand, wie Artikel 9 wirklich aus- gestaltet sein soll. Trotzdem gibt es sie. Das kann zu gewaltigen legistischen Risiken führen, wie man ja bei DWS gesehen hat. Die Büros wurden de facto gestürmt … Stuart Kirk: Genau, das ist aber unter Um- ständen nur die Spitze des Eisbergs. Das Problem ist, wie gesagt, dass ESG als In- vestmentstil verkauft wird, in Wirklichkeit aber vor allem dem Risikomanagement dient. Dadurch landen dann eben auch Öl- unternehmen in einem ESG-Portfolio, was aus Sicht der Portfoliogestaltung natürlich Sinn ergibt. Lassen Sie mich dazu ein ana- loges Beispiel geben: Wenn man ein Growth-Portfolio hat, sind auch ein paar Value-Titel dabei, und niemand regt sich auf. Hat man jedoch in einem vermeintlich grünen Portfolio beispielsweise Exxon drin, dann fragen die Kunden wahrscheinlich irgendwann, warum das so ist. Nachfragen der Kunden wirken jetzt noch nicht so wahnsinnig bedrohlich … Stuart Kirk: Natürlich nicht, das ändert sich aber, wenn die Portfolios unter Druck kom- men. Dann habe ich plötzlich eine schlech- tere Performance, und mir wird bewusst, dass ich mit meinen Investments eben doch nicht die Welt gerettet habe. Und dann kom- men die Anwälte ins Spiel. Dass einige schon in den Löchern scharren, weiß ich. Von welchen Dimensionen sprechen wir da? Stuart Kirk: Es könnte auf ähnliche Ausmaße hinauslaufen wie damals der Mortgage- Skandal in Großbritannien, als Privatkunden großflächig Versicherungen gegen Kredit- ausfälle verkauft wurden. Die Pakete hielten zum Ersten nicht alles, was sie versprachen, und beinhalteten Produkte, von denen die Käufer nicht wussten, dass sie sie erworben haben. Über acht Jahre zogen sich die di- versen Schadenersatzklagen hin und erreichten am Schluss eine Summe von knapp 60 Milliarden Pfund. Stellen Sie sich ein ähnliches Szenario auf globaler Ebene vor. Ich halte das für eines der derzeit größ- ten Risiken für die Finanzbranche Ein weiteres Risiko also? Neben Inflation, Rezession, Geopolitik, Zinsen … Stuart Kirk: Ich würde das – wie immer aus einer reinen Investorensicht – gar nicht » Die gegenwärtigen ESG-Praktiken stellen für die Finanzindustrie ein gewaltiges Risiko dar. « Stuart Kirk T H E O R I E & P R A X I S | S TUART K I RK 82 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © TOM BIRTCHNELL

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