Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Glauben Sie, dass es der EZB möglich ist, beide Ziele zu verfolgen: Inflationsbekämp- fung und Integrität der Eurozone? Barry Eichengreen: Die eigentliche Frage ist, ob die EZB tatsächlich mit Verve das zweite Ziel angehen will, nämlich sich um das Ita- lien-Problem zu kümmern. Die wahrschein- liche Antwort auf diese Frage ist: Die EZB wird nur bereit sein, Italien zu helfen, wenn die italienische Regierung eigene Anstren- gungen unternimmt. Sie möchte jetzt weite- re strukturelle Reformen in Italien sehen. Letztlich müssen wir hoffen, dass all dies so passiert, wenn wir wieder eine gut funktio- nierende, stabile Eurozone sehen wollen. Und was ist mit den USA? Barry Eichengreen: In den USA ist die Erwar- tung, dass die Fed die Zinssätze auf eine Größenordnung zwischen vier und fünf Prozent anheben muss – eher Richtung fünf Prozent. Erwartet wird auch, dass die Fed die Zinsen dann eine Weile auf diesem Niveau halten wird, es sei denn, es gibt eine Rezession. In dem Fall ginge die Inflation von allein zurück, weil die Ausgabenseite schrumpft. Damit könnte die Fed dann ein wenig die Zügel lockern. Die EZB wird in ein ähnliches Szenario kommen, allerdings mit Zeitverzögerung. Sie haben das R-Wort genannt. Befinden wir uns in Europa in einer Rezession? Barry Eichengreen: Ja! Wir haben es mit einem großen Schock im Energiebereich zu tun, und das ist schlecht für die Industrie! Einige Chemieunternehmen wurden bereits ge- schlossen. Die Konsumenten realisieren, dass sie diesen Winter mit hohen Energierech- nungen rechnen müssen, und geben daher weniger aus. In einer solchen Lage ist es kaum vorstellbar, dass Europa nicht in eine Rezession gerät. Wird das auf andere Regionen, beispiels- weise auf die USA, ausstrahlen? Barry Eichengreen: Wenn die USA in eine Re- zession geraten, wird es nicht daran liegen, dass wir sie aus Europa importieren, son- dern sie wird hausgemacht sein. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA deutlich geringer als in Europa. Und der Einfluss Chinas? Barry Eichengreen: Die chinesische Wirtschaft hat sich deutlich verlangsamt. Vor der Coro- na-Pandemie ist die chinesische Wirtschaft mit 5,5 Prozent gewachsen. Für dieses und nächstes Jahr rechnen wir eher mit 2,5 Pro- zent. Das bedeutet eine große Änderung für die globale Wirtschaft. Dazu kommt, dass die chinesische Regierung diesmal keine großen Ausgabenprogramme durchführt und die Zentralbank keine nennenswerten Liquiditätsspritzen verabreicht. Sie haben das in der Vergangenheit wiederholt getan, um das wirtschaftliche Wachstum am Lau- fen zu halten. Nun haben sie aber gesehen, dass daraus die Probleme im Finanz- und Immobiliensektor entstanden sind. Chinas Wachstum wird also künftig schwächer sein. Da kann man sich natürlich fragen, ob die US-Wirtschaft weiter wachsen kann, wenn China kaum mehr wirtschaftliches Wachstum hat und sich Europa in einer Rezession befindet. Wird die Inflation bleiben, oder kriegen wir sie in den Griff? Barry Eichengreen: Ich bin überzeugt, dass die meisten Zentralbanken – auf jeden Fall die Fed und die EZB – alles daransetzen wer- den, die Inflation wieder auf das Niveau von zwei Prozent zu bringen. Jerome Po- well hat klargemacht, dass seine Top-Prio- rität darin besteht, die Inflation auf zwei Prozent zu bringen. Er geht aber nicht zu rasant vor, damit das Rezessionsrisiko nicht zu hoch wird. Die EZB ist in einer noch schwierigeren Situation: Sie muss die Infla- tion, die Rezession und Italien im Blick ha- ben. Ich bin mir aber sicher, dass, wenn wir uns in fünf Jahren treffen, die Inflationsrate wieder bei zwei bis 2,5 Prozent liegt. Wir danken für das Gespräch. ANKE DEMBOWSKI » Die EZB muss bei ihrer Zinspolitik in erster Linie die Inflation im Auge behalten und nicht die Haus- haltsprobleme einzelner Länder wie z. B. Italien. « Prof. Barry Eichengreen, University of California, Berkeley T H E O R I E & P R A X I S | PROF. BARRY E I CHENGRE EN | UN I VERS I TY OF CAL I FORN I A 76 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © TIM FLAVOR

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