Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

es macht ihn gegenüber dem Dollar zur schwächeren Alternative. Was könnte dem Euro international zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen? Barry Eichengreen: Ich sehe hier zwei Hebel: Zum einen sollte die Europäische Kapital- marktunion weiter ausgebaut werden. Zum anderen müsste es mehr Länder in der EU geben, die ein AAA-Rating aufweisen – das letzte Mal, als ich geschaut habe, waren es nur vier Länder. So könnten mehr hoch- wertige Staatsanleihen ausgegeben werden. Es gab im Eurosystem lange Zeit keinen Lender of Last Resort, aber dieses Problem hat Mario Draghi 2012 gelöst. Apropos Schuldendisziplin. In Ihrem Buch „In Defence of Public Debt“ verteidigen Sie das Schuldenmachen. Warum? Barry Eichengreen: Öffentliche Schulden sind ein wertvolles und gutes Mittel, aber nur in Notsituationen. In Krisenzeiten verschulden sich Staaten ganz besonders: in Zeiten von Krieg, Finanzkrisen oder bei Pandemien. Das ist nicht neu. Schon Venedig hat zur Zeit der Pestausbreitung Schulden aufge- nommen, um grundlegende soziale Dienst- leistungen anbieten zu können. In extremen Situationen sollten Regierungen das Instru- ment der Schuldenaufnahme also nutzen – da ist es sinnvoll. Allerdings sollten sie ihre Verschuldungskapazität wiederherstellen, wenn die Krise vorüber ist. Sollten sich Staaten jetzt verschulden, um die Transformation zu finanzieren? Ließe sich damit vielleicht Wachstum kreieren, um künftig die Notwendigkeit einer Verschul- dung zu begrenzen? Barry Eichengreen: Für Regierungen ist es sehr verführerisch, einfach Schecks auszu- geben, die es der Bevölkerung erleichtern, um mit gestiegenen Energiekosten zurecht- zukommen. Die Frage ist: Wenn Sie limi- tierte Ressourcen haben, ist es dann besser, der Mittelklasse einen Scheck in die Hand zu drücken, oder sollten Sie lieber in Technologien für saubere Energiegewin- nung investieren? Politiker müssen solche schwierigen Entscheidungen treffen! In Europa sind viele durch die hohe Infla- tion geschockt. Was glauben Sie: Wie weit wird die EZB die Zinsen anheben können, ohne dass Italien überfordert wird, seine Zinslast bezahlen zu können? Barry Eichengreen: Die EZB muss bei ihrer Zinspolitik in erster Linie die Inflation im Auge behalten und nicht die Haushaltspro- bleme einzelner Länder wie beispielsweise Italien. Daher wird die EZB die Zinssätze so lang anheben, bis die Inflation merklich zurückgeht und im mittleren einstelligen Bereich verbleiben wird. Letztlich soll die Inflation ja wieder auf eine Zielgröße von zwei Prozent zurückkommen. Die EZB hat zwei Ziele: Das eine ist die Inflations- bekämpfung, das andere ist die Integrität der Eurozone. Letzteres bedeutet im Grun- de, dass sie dafür zu sorgen hat, dass die Zinssätze für italienische Bonds nicht zu sehr von den Zinssätzen der anderen EU-Staatsanleihen abweichen. Für die Infla- tionsbekämpfung hat die EZB das Instru- ment der Zinssätze. Zur Bekämpfung der Fragmentierung der Eurozone hat sie ein neues Instrument an die Hand bekommen: TPIs. Was hat es mit den TPIs auf sich? Barry Eichengreen: Das sogenannte „Trans- mission Protective Instrument“ (TPI) wurde im Juli 2022 einstimmig vom EZB-Rat verabschiedet. Es ermächtigt die EZB, gezielt und unbegrenzt Staatsanleihen ein- zelner EU-Länder aufzukaufen, um die Kreditzinsen dieser Staatsanleihen zu sen- ken. Damit soll verhindert werden, dass es zu einer Fragmentierung innerhalb der Eurozone kommt, dass also die Spreads innerhalb der EU nicht zu sehr auseinan- derfallen. Kämpfer gegen die Gefahr finanzieller Instabilität Der Ökonom Barry Eichengreen ist ein welt- weit bekannter Experte für die Geschichte des Geldsystems. Er befasst sich mit internationaler Makroökonomie und der Geschichte des Finanzsystems. 1997 und 1998 – während der Asienkrise – war Eichengreen Senior Policy Advisor für den IWF. Seit 1987 ist er Professor für Politik und VWL an der University of California, Berkeley. Daneben gehört er ver- schiedenen hochrangigen Wirtschaftsgremien an, etwa dem internationalen Beirat des Instituts für Weltwirt- schaft in Kiel, dem National Bureau of Economic Re- search und dem Centre for Economic Policy Research. Von 2004 bis 2020 war er Organisator der Bellagio Group, einer Gruppe internationa- ler Ökonomen, Zentralbanker und hoch- rangiger Finanzbeamter, die sich jährlich trifft, um internationale Wirtschafts- und Finanzfragen zu diskutieren. T H E O R I E & P R A X I S | PROF. BARRY E I CHENGRE EN | UN I VERS I TY OF CAL I FORN I A 74 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © TIM FLAVOR

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