Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

liest die Lebensversicherungsgesellschaft aus den offiziellen Sterbetafeln ab. Die Ver- sicherungsgesellschaften haben natürlich Kosten, und sie wollen Gewinne erwirt- schaften. Daher habe ich zu den 20 Jahren, die der durchschnittlichen restlichen Le- benserwartung entsprechen, zwei Jahre hin- zugefügt. Die Periode der Auszahlungen der SeLFIES ist so zu wählen, dass sie der durchschnittlichen Lebenserwartung plus den Kosten für die Lebensversicherung ent- spricht, die den Umtausch machen soll. Im Grunde genommen geht es darum, den Bond, der kein Langlebigkeitsrisiko berück- sichtigt, in eine Annuität, eine lebenslange Rente, umzuwandeln. Gibt es zu den 22 Jahren Auszahlungsdauer Alternativen, also andere Denkmodelle? Robert Merton: Alternativ könnten Sie auch einen Auszahlungszeitraum von – sagen wir – 50 Jahren annehmen, wenn Sie mit 65 in Rente gehen. Dann ist die Wahrscheinlich- keit, dass Sie am Ende Ihres Lebens ohne Auszahlungen dastehen, extrem gering. Aber das wäre Verschwendung. Die Wahr- scheinlichkeit, dass nach Ihrem Ableben noch Zahlungen ausstehen, wäre sehr hoch. Ein SeLFIE zu kreieren, das 50 Jahre lang auszahlt, wäre also ineffizient. Das Design ist so, dass Sie Ihren SeLFIE-Bond ein- tauschen können gegen eine Annuität, die Ihnen genau dieselbe Rente zahlt wie der SeLFIE-Bond. Sie geben Ihre SeLFIES, die Ihnen 50.000 Euro für die nächsten 22 Jahre auszahlen würden, der Lebensversicherung. Diese gibt Ihnen dafür eine Leibrente, die Ihnen für den Rest Ihres Lebens 50.000 Euro pro Jahr ausbezahlt. Da ist keine Magie dahinter, und es werden auch keine Geschenke verteilt. Sie zahlen dafür mit Ihrem SeLFIE. Versicherungsunternehmen können nämlich eines sehr gut: Risiken nehmen, die für den Einzelnen sehr hoch sind, und sie vergemeinschaften. Versiche- rungen nutzen hier das Gesetz der großen Zahlen. Für das Individuum ist das Risiko der Langlebigkeit enorm. Eine Versicherung hingegen kann die durchschnittliche Lebens- erwartung zugrunde legen, weil sie viele Risiken zusammenfasst. Besteht da nicht eine Informationsasym- metrie? Was ist, wenn eine Person weiß, dass sie krank ist, und vermutlich nicht mehr 22 Jahre lang leben wird? Robert Merton: Das ist kein Problem. Wenn Sie 65 Jahre alt sind, haben Sie ein viel bes- seres Bild von Ihrer persönlichen Gesund- heit und Ihrer persönlichen Lebenserwar- tung, als wenn Sie erst 30 oder 40 Jahre alt sind. Aber Sie haben ja die Wahl: Wenn Sie glauben, dass Sie nicht mehr sehr lang le- ben, tauschen Sie Ihre SeLFIES nicht gegen eine Leibrente ein. Wenn Sie dann vielleicht schon fünf Jahre nach Ihrem Renteneintritt versterben, dann erhalten Ihre Erben noch die restlichen Zahlungen aus Ihren SeLFIES, bis die 22 Jahre verstrichen sind. Mit SeLFIES haben Sie bis zum Beginn Ihrer Rente eine weitgehende Flexibilität. Sie brauchen sich nicht schon im Alter von 30 oder 35 zu entscheiden, sondern haben bis zu Ihrem 65. Lebensjahr Zeit. Dabei können Sie Ihren individuellen Gesundheitszustand mit einbeziehen, den Sie ja besser kennen als jede Lebensversicherungsgesellschaft. Das klingt sehr einfach … Robert Merton: Das ist es auch! Der grund- legende Gedanke ist, dass wir das System so einfach und so transparent wie möglich machen. Das schützt Sie zwar nicht davor, dass Sie eine falsche Entscheidung treffen; aber Sie können Ihre persönliche Entschei- » Sie können Ihren SeLFIE-Bond gegen eine Annuität eintauschen, die Ihnen genau dieselbe Rente zahlt wie der SeLFIE. « Robert Merton, MIT Sloan School of Management T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ROB ERT C . MERTON | MI T S LOAN SCHOOL OF MANAGEMENT 62 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © CHRISTIAN FLEMMING

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