Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

I n den meisten westlichen Ländern stehen Rentenreformen an. Die de- mografische Entwicklung und die Langlebigkeit machen das notwen- dig. Die Niederlande und die Schweiz sind dieses Jahr vorangegangen, und weitere Länder werden wohl oder übel folgen müs- sen. Im Rahmen der 7. Tagung der Wirt- schaftsnobelpreisträger, die diesen Sommer in Lindau stattfand, konnten wir mit Prof. Robert Merton darüber sprechen, wie er sich ein einfaches und praktikables Renten- konzept vorstellt. Als Lösung schlägt er SeLFIES vor. Das Kürzel hat nichts mit selbst gemachten Handyfotos zu tun, son- dern steht für „Standard-of-Living indexed, Forward-starting, Income-only Securities“. Herr Professor Merton, Sie haben SeLFIES erfunden und das Konzept hier bei der Nobelpreisträgertagung in Lindau vor- gestellt. Was genau sind SeLFIES? Robert Merton: Es geht dabei um eine inte- grative Lösung für ein Rentensystem, das sehr einfach ist, und das sich daher auch für Menschen eignet, die im informellen Sektor arbeiten und vielleicht nur wenig finanzielle Bildung haben. Rentensysteme müssen simpel, preiswert und transparent sein. Warum befassen Sie sich ausgerechnet jetzt mit dieser Rentenlösung? Robert Merton: Es droht eine Rentenkrise. Individuen werden zunehmend aufgefor- dert, Verantwortung für ihre eigene Alters- vorsorge zu übernehmen. Dazu müssen sie drei komplexe, miteinander verbundene Entscheidungen treffen: Wie viel soll ich ansparen? Wie soll ich investieren? Und wie kann ich im Ruhestand mein Vermögen verzehren? Das sind sehr schwer zu beant- wortende Fragen! Viele Rentensysteme geraten derzeit aus den Fugen … Robert Merton: Ja, die Menschen werden ins- gesamt älter, daher hebt man zum Beispiel in der ersten Säule das Renteneintrittsalter an. Überall in der Welt werden gerade die Rentensysteme ergänzt, um sie finanziell zu stärken. Diese Maßnahmen sind zwar wich- tig, aber es handelt sich letztlich nur um Details. Egal wie Sie die erste Säule auf diese Weise verändern; ich glaube nicht, dass die kleinen Änderungen, die man jetzt durchführt, dauerhaft zu guten Rentenzah- lungen führen können. Was macht denn ein gutes Rentensystem aus? Robert Merton: Ziel eines guten Rentensys- tems muss sein, dass man im Ruhestand über genauso viel Geld verfügt wie in den letzten Jahren seines Erwerbslebens. Schließlich hat man sich an diesen Lebens- standard gewöhnt und möchte diesen für den Rest seines Lebens beibehalten. Das ist ein hoher Anspruch! Wie funktio- niert Ihr SeLFIES-System? Robert Merton: Wir müssen bedenken: In vielen Ländern der Welt arbeitet die Mehr- heit der Bevölkerung im informellen Sek- tor! Das betrifft nicht nur Entwicklungs- länder. In den USA beobachten wir, dass sich der Arbeitsmarkt verändert. Wir spre- chen von der Gig Economy, in der Selbst- ständige kurzfristig und vorübergehend anderen Menschen helfen, etwas Bestimm- tes zu erledigen. Für diese Selbstständigen werden oft keine Einzahlungen in ein formelles Rentensystem vorgenommen. SeLFIES können hier eine Lösung bieten. Was sind denn SeLFIES genau? Robert Merton: Im Prinzip sind SeLFIES Staatsanleihen, die ein ganz bestimmtes Auszahlungsprofil aufweisen. Bei einer nor- malen Staatsanleihe kaufen Sie das Papier, und anschließend erhalten Sie halbjährlich oder jährlich eine Kuponzahlung. Bei Fäl- ligkeit der Anleihe erhalten Sie eine große Auszahlung, denn Sie erhalten Ihr Geld zurück. SeLFIES haben ein anderes Aus- zahlungsprofil: Wenn Sie das SeLFIE kau- fen, zahlen Sie dafür heute den Kaufpreis. Bis zu einem bestimmten Datum, dem Startdatum, erhalten Sie keine Kuponzah- lungen. Ab dem Startdatum erhalten Sie laufende Zahlungen – 22 Jahre lang. Da- nach passiert nichts mehr, Sie erhalten also Ihren ursprünglich angelegten Betrag nicht zurück. Und wann kauft man die SeLFIES? Robert Merton: Eine heute 29 Jahre alte Per- son würde vermutlich SeLFIES mit dem Startdatum 2058 kaufen. Warum? Weil sie im Jahr 2058 das Alter von 65 Jahren er- reicht und plant, mit 65 in Rente zu gehen. Danach erhält sie für die nächsten 22 Jahre Zahlungen aus dem SeLFIE. Die meisten Menschen mögen bei ihrer Altersvorsorge keine Unsicherheit. Wie sicher sind SeLFIES? Robert Merton: Bei SeLFIES wissen Sie genau, wie viel Sie monatlich ausbezahlt bekommen, es handelt sich schließlich um eine Staatsanleihe, einen Bond. Hier gibt es eine garantierte Rentenzahlung. Im Prinzip mögen Menschen auf der ganzen Welt garantierte Rentenzahlungen! Meine Idee ist daher, dass ein Staatspapier aufgelegt wird, dessen Auszahlungsprofil wie eine lebens- lange Rente aussieht. Die zeichnet sich dadurch aus, dass Sie etwas einzahlen, dann Bürger können damit eine Rente aufbauen, für institutionelle Investoren könnten sie ein gut passendes Investment darstellen: Die Rede ist von SeLFIES – ein Altersvorsorgeinstrument, das Wirtschaftsnobelpreisträger Prof. Robert C. Merton konzipiert hat. » SeLFIES: AUCH FÜR IN T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ROB ERT C . MERTON | MI T S LOAN SCHOOL OF MANAGEMENT 58 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com

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