Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Krieges zurückfallen, wird die Gefahr eines ernsthaften Unfalls erheblich größer. Und in einer solchen Phase der Eskalation wirken solche falschen Narrative, über die ich ge- sprochen habe, natürlich wie eine Art hoch- oktaniger Treibstoff, sodass unter Umstän- den ein kleiner Funke genügt, um diesen zu entzünden. In gewisser Weise waren wir die- sem Punkt ziemlich nah, als die ausschei- dende Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Anfang August zu Besuch in Taiwan war. Bei dieser Gelegenheit hat der Funke zwar nicht zu einem Entzünden des Treibstoffs geführt. Aber die scharfen Worte, mit denen Xi Jinping die Wiedervereinigung mit Taiwan als „unvermeidlich“ bezeichnet hat, zeigen doch, dass der Konflikt schon sehr weit fortgeschritten und geradezu reif für einen schweren Unfall ist. Aber auch wenn Xi und Putin drei Wochen vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine ihre „Partnerschaft ohne Grenzen“ unterzeichnet haben: Die Ergebnisse des G-20-Gipfels schienen doch eher auf eine Annäherung hinzudeuten. Stephen Roach: Solche Treffen im großen Rahmen haben, ehrlich gesagt, nie etwas wirklich Konkretes gebracht, auch wenn mehr dabei herausgekommen ist als bei die- sen episodischen Gesprächen von Regie- rungschef zu Regierungschef oder Zoom- Calls und Telefonaten. Sinnvoller wäre die Arbeit von gemeinsamen sino-amerikani- schen Teams im Hintergrund, die dafür sor- gen können, dass statt solcher episodischer Treffen eine strukturierte Architektur des Engagements entstehen kann. Das kann die Erarbeitung gemeinsamer Papiere mit Vor- schlägen zur Lösung von schwierigen ge- genseitigen Problemen sein oder auch die Entwicklung einer gemeinsamen Datenbank bis hin zu gemischten Teams aus chinesi- schen und amerikanischen Forschern unter der Leitung von jeweils einem hochran- gigen amerikanischen und chinesischen Beamten, der direkt an die Legislative seiner jeweiligen Regierung berichtet. So etwas hätte meiner Meinung nach ein viel größe- res Potenzial als das dysfunktionale Fehlen solcher Einrichtungen, wie wir es derzeit haben. Auch wenn Sie offenbar die Spannungen zwischen den USA und China für die aktuell bedeutendste Bedrohung auch für die Fi- nanzmärkte halten: Glauben Sie nicht, dass dieser Konflikt Gefahr läuft, in den Hinter- grund zu treten angesichts von Problemen wie dem Ukraine-Krieg, einer bedrückenden Energiekrise, oder einer ausufernden Infla- tion bis hin zu einer Zentralbankpolitik, die auch Sie kürzlich durchaus kritisiert haben? Stephen Roach: An Problemen mangelt es der Welt derzeit tatsächlich nicht. Und eines der von Ihnen genannten Problemfelder domi- niert von Zeit zu Zeit immer wieder einmal die Tagesordnung und zieht die Aufmerk- samkeit von Politik und Finanzwelt auf sich. Wie es zuletzt der Fall war, als die Chinesen in der Straße von Taiwan noch nie dagewesene Militärübungen durchgeführt haben. Und kurz nachdem die Militärübun- gen beendet waren, richtete sich die Auf- merksamkeit sofort wieder auf das Kriegs- geschehen in der Ukraine oder auf einen anderen Schauplatz. Auf lange Sicht bleibt das Verhältnis zwischen China und den Ver- einigten Staaten aber auf jeden Fall ein be- deutendes Thema für die Weltgemeinschaft wie auch die Finanzwelt. Das hat zuletzt die Biden-Regierung deutlich gemacht, als sie, wie alle fünf Jahre, ihre neue nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht hat. Darin ist sehr deutlich geworden, dass die US-Re- gierung bei der langfristigen Bewertung von Bedrohungen in der Welt zwar sehr beun- ruhigt ist über all die von Ihnen erwähnten Themen, insbesondere den Krieg in der Ukraine, aber auch über den Klimawandel und den Umgang mit globalen Gesundheits- risiken wie einer Pandemie. Sie hat aber auch keinen Zweifel daran gelassen, dass der Konflikt mit China ganz oben auf ihrer strategischen Agenda steht. Nicht zuletzt auch wegen der weiteren Entwicklung in » Auf lange Sicht bleibt das Verhältnis zwischen China und den Vereinigten Staaten auf jeden Fall ein bedeutendes Thema für die Weltgemeinschaft wie auch die Finanzwelt. « Stephen Roach, Professor an der Yale-Universität T H E O R I E & P R A X I S | S T E PHEN ROACH | YAL E 54 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © ROBERT LISAK

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