Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Krieges gekommen ist, vor dem ich schon damals gewarnt habe und der sich nun auf sehr unheilvolle Weise bewahrheitet hat. Daran wird sich auch nach den zarten Tö- nen auf dem G-20-Gipfel nicht viel ändern. Hat diese Entwicklung auch den Anstoß gegeben, das Thema in Ihrem neuen Buch mit dem vielschichtigen Titel „Accidental Conflict“ noch einmal aufzugreifen? Stephen Roach: Die verschiedenen Aspekte der Beziehungen zwischen beiden Ländern bis hin zu dem Konflikt, wie wir ihn heute erleben, beschäftigen mich im Endeffekt seit mittlerweile gut 25 Jahren. Zunächst in der letzten Dekade meiner Zeit als Chef- ökonom von Morgan Stanley und auch nachdem ich vor 14 Jahren von der Wall Street in die Wissenschaft gewechselt bin. Eine meiner beliebtesten Vorlesungen trug den Titel „The Next China“. Daher habe ich dem Thema schon seit Langem mein Hauptaugenmerk gewidmet. Was sind die wesentlichen Eckpfeiler eines „asymmetrischen Rebalancings“, über das Sie auch in Ihrem neuen Buch schreiben? Stephen Roach: Der Begriff ist eine Kurzfor- mel für den in beiden Ländern notwendigen strukturellen Wandel, auf den ich schon seit Langem hinweise. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch China müssen ihre Volks- wirtschaften neu ausbalancieren. Wenn man wie die USA zu wenig spart, baut man Leis- tungsbilanzdefizite auf, um Kapital aus dem Ausland anzuziehen. Das wiederum führt zu einer Vergrößerung der Außenhandelsde- fizite. Und ich argumentiere schon seit nun- mehr fast zehn Jahren, dass sich das ändern muss. Die Vereinigten Staaten müssen ihre Ausgaben reduzieren, um ihr eigenes Wirt- schaftswachstum aufrechtzuerhalten, aber auch um ihre Abhängigkeit von Ländern wie China zu verringern. In China ist es umgekehrt, das Land muss viel weniger sparen, aber seine Wirtschaft stärker auf Konsum und mehr Dienstleistungen, aber eben weniger auf Investitionen und Exporte ausrichten, indem es sich deutlicher bereit zeigt, sein immenses Reservoir an Über- schüssen abzurufen, indem es einerseits in die Finanzierung seiner sozialen Siche- rungsnetze wie die Renten- und die Ge- sundheitsversorgung investiert und anderer- seits stärker von importierten auf heimische Innovationen umstellt. Demnach hatte China ja offensichtlich die sehr viel umfangreichere Rebalancing- Agenda. Was hat sich aus Ihrer Sicht seither getan? Stephen Roach: Ich war damals der Ansicht, dass China die größeren Chancen hätte, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Das war auch lange Zeit der Fall, zumal die USA in  Bezug auf ihre strukturelle Neuausrichtung und eine Verbesserung ihres Leistungsbi- lanz- und ihres Außenhandelsdefizits nur wenig unternommen haben. China dagegen hat es zeitweise geschafft, seine Wirtschaft stärker auf Konsum auszurichten und eine strukturelle Verlagerung auf Dienstleistun- gen voranzutreiben. Aber unter Xi Jinping erlebt das Land wirklich einen Rückschlag in Bezug auf dieses notwendige Rebalan- cing, weil Xi den Schwerpunkt wieder vom Privatsektor zurück zum Staat verlagert und sich nicht wirklich um eine Verbesserung der sozialen Sicherungssysteme kümmert, die ich gerade gewissermaßen als die Quel- le für die Aktivierung inländischer Aus- gaben angesprochen habe. Entsprechend verzögern sich die vom Verbraucher ausge- henden Impulse. Aber ich würde immer noch sagen, dass China beim Rebalancing mehr Fortschritte gemacht hat als die Ver- einigten Staaten. » Sowohl die Vereinigten Staaten als auch China müssen ihre Volkswirtschaften neu ausbalancieren. « Stephen Roach, Professor an der Yale-Universität T H E O R I E & P R A X I S | S T E PHEN ROACH | YAL E 48 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © ROBERT LISAK

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