Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Das Problem bei Gas ist, dass ein Teil der Nachfrage unelastisch ist. Man muss hei- zen, man muss sich waschen. Diese Grund- bedürfnisse sind nicht flexibel und sollten geschützt werden. In unserem Modell greift der Gaspreisdeckel pro Kopf und sichert so die Existenz der breiten Bevölkerung. Für alles, was darüber hinaus geht, gilt im Modell der Marktpreis. Das hat den Vorteil, dass die gemessene Inflation sehr schnell zurückgeht. Geschieht das, gehen auch die Inflationserwar- tungen zurück, was wiederum die Notenbanken beeinflusst und schmerzhafte Zinsschritte verhindert. Der Anreiz, Gas zu sparen, ist auch gegeben, da der Deckel letzten En- des nur für 80 Prozent des Ver- brauchs gilt. Das heißt, es besteht eine Motivation, unter diesen 80 Prozent zu bleiben – und in Wirk- lichkeit noch weiter zu sparen. Denn wenn man bedenkt, dass der Gas- preisdeckel bei zwölf Cent liegt und der durchschnittliche Gaspreis vor der Krise bei sieben Cent lag, so ist auch innerhalb dieses Korridors Motivation gegeben, so wenig Gas wie möglich zu konsumieren. Das Modell, das im März 2022 veröffent- licht wurde, hätte also bei rascher Umset- zung den Notenbanken den Druck ge- nommen, ihrem Preisstabilisierungsmandat nachzukommen. Daraus wurde bekanntlich nichts. Weltweit stieg die Inflation an und veranlasste die Notenbanken, die Leitzinsen anzuheben. In der Eurozone stieg die Teue- rung seit der Veröffentlichung des Weber- Dullien-Papers um 50 Prozent von rund sechs auf neun Prozent an. Die EZB führte drei Schritte durch und hob den Leitzins auf zwei Prozent an. Die Fed ging noch aggres- siver vor und erhöhte das Zinsniveau auf vier Prozent. Und das, obwohl Jerome Powell bei der traditionellen Fed-Rede in Jackson Hole im August des Jahres zugab, dass die US-Notenbank nicht über das notwendige Instrumentarium ver- fügt, die gegenwärtige Ausprägung der Inflation wirkungsvoll zu be- kämpfen. Weber sieht diese Ent- wicklungen kritisch. Tatsächlich wäre es die ehrlichere Haltung, nichts zu machen. Die Zinserhöhungen sind in der gegen- wärtigen Situation gesamtwirtschaft- lich keine gute Idee. Im europäi- schen Kontext, wo alles auf eine Rezession hinweist, würde ich die Zinsen nicht anheben. Damit ver- schärft man die Rezessionstendenz, und das führt schlimmstenfalls zum Zusammenbruch der Realwirtschaft, der die Situation auch nicht löst. Weil wir es eben mit einer angebots- getriebenen Inflation zu tun haben, Ein veritabler Wettlauf Unter den Notenbanken hat sich ein Rennen um die höchsten Zinsen etabliert. Schneller, weiter, höher – und das alles ohne echte Reflexion. So lässt sich zugespitzt die aktuelle Bewegung an der Leitzins-Front beschreiben. Weit vorn: einmal mehr die USA. Quelle: Bloomberg -1 % 0 % 1 % 2 % 3 % 4 % 5 % 6 % 7 % 15 14 13 18 19 20 21 2022 17 16 12 11 10 09 08 07 06 05 04 03 02 01 2000 EZB Schweizerische Nationalbank Fed Bank of England Leitzins 40 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | I SAB E L LA WE B ER | UN I VERS I TY OF MAS SACHUS E T T S AMHERS T FOTO: © TIM FLAVOR

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