Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

von der Sache Wind bekam. Das Problem: Der mittlerweile 70-jährige Starökonom und Bestsellerautor verfügte über keinen Twitter-Account. An dieser Stelle sprang Weber jedoch eine Ökonomin zur Seite, die genau weiß, wie es ist, wenn man sich ge- gen den ökonomischen Mainstream stellt: Stephanie Kelton. Die Galionsfigur der Modern Monetary Theory stellte dem Har- vard-Yale-Mann kurzerhand ihren Account zur Verfügung. Galbraith, der ein durchaus artikulierter Kritiker seiner Zunft ist, fand in einem für Twitter-Verhältnisse langen sechs- teiligen Thread Worte, die nicht weniger klar waren als die des Nobelpreisträgers: „Krugmans Tweets sind, im Gegensatz zu (Webers Arbeit), reine Wiederholungen von Lehrbuchbanalitäten. Sie zeugen weder von Wissen noch von politischer Vorstellungs- kraft. Wie er Weber (…) verunglimpft hat, ist beschämend.“ Tags darauf löscht Krugman seinen Eintrag und entschuldigt sich in ei- ner neuen Nachricht „extrem für den Tweet über Isabella Weber und ihren Vorschlag zu Preiskontrollen“. Ein Koffer in Berlin Wir treffen Weber mehr als zehn Monate nach diesen Geschehnissen in Berlin. Zu diesem Zeitpunkt ist sie eine von sieben Ökonomen, die neben 14 Politikern und Interessen- vertretern in der „ExpertInnen-Kom- mission Gas und Wärme“ über die Lösung des Gaspreisproblems disku- tieren. Es ist der 26. Oktober, wir treffen uns am Gendarmenplatz, es ist sonnig, eine kleine Baustelle bie- tet sich als Hintergrund für den Zustand der europäischen Energieversorgung an. Vier Tage später wird der Abschlussbericht des Gremiums erscheinen. Er wird diskutiert und teils kritisiert werden, aber daran hat sich Weber inzwischen gewöhnt. Der Aufenthalt in Berlin ist für Weber so etwas wie eine akademische Heimkehr, hat sie doch sechs Jahre in der Hauptstadt stu- diert. Später sollte es sie von Deutschland wegziehen: örtlich nach Massachusetts, wo sie als Professorin tätig ist, und inhaltlich an die globalen Märkte beziehungsweise deren Schocks – und zur Frage, wie Volkswirt- schaften von China über Europa bis hin zu den USA historisch mit Kriegen und Krisen umgegangen sind. An diesem Punkt greift auch die Expertise Webers. Sie stammt nicht aus einer fokussierten Beschäftigung mit den Energiemärk- ten, sondern aus dem Studium von Staaten in der Krise, wie auch ihre umfangreiche Publikationsliste zeigt. Erst im Juni 2021 kam das von der „Financial Times“ wohlwollend re- zensierte Buch „How China Escaped Shock Therapy“ auf den Markt. Es ist viel los am Gendarmen- markt, Touristen nutzen die Atem- pause in der Pandemie, bleiben an- gesichts der strahlenden Sonne viel- leicht etwas länger als sonst vor fran- zösischem und deutschem Dom ste- hen. Im „Erdinger am Gendarmen- markt“ gewährt man uns für das Ge- » Ich bekam von Twitter die Fehlermeldung, dass man die Menge an Nachrichten nicht mehr verarbeiten kann. « Isabella Weber, Autorin, Ökonomin, Mitglied der Gaspreiskommission, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst Inflation – das unbekannte Wesen Eine nicht unwesentliche Quelle ist „unklar“. Angesichts der Auslöser darf man die Frage stellen, wieso die Wirksam- keit von Zinsanhebungen bei der Inflationsbekämpfung in akademischen und wirtschaftspolitischen Kreisen nicht stärker hinterfragt wird. Quelle: EU-Kommission 0 % 1 % 2 % 3 % 4 % 2022 2021 2020 2019 2018 2017 HICPX Angebotsgetrieben Nachfragegetrieben Unklar Prozent N o. 4/2022 | www.institutional-money.com 35 T H E O R I E & P R A X I S | I SAB E L LA WE B ER | UN I VERS I TY OF MAS SACHUS E T T S AMHERS T FOTO: © TIM FLAVOR

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