Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

erklärt Wicke. Zielke interpretiert das für die Praxis so: „Nach dem neuen Rech- nungslegungsstandard stellen sich langlau- fende Verträge besonders profitabel dar. Das gibt den Versicherern einen Anreiz, langfris- tige Altersvorsorgeprodukte stärker zu pushen als bisher.“ Nach IFRS 4 wer- den die vollen Prämieneinnahmen als Umsatz gebucht (gebuchte Bruttoprä- mie). Damit werden im Lebensversiche- rungsgeschäft auch die Sparanteile als Versicherungsumsatz ausgewiesen, was eine verzerrte Darstellung ist. Schließ- lich sind die Sparanteile später an die Versicherten auszuzahlen und stellen keinen Gewinn des Versicherers dar. „Das ist so, als würde eine Bank ihre gesamten Kundeneinlagen als Umsatz verbuchen. Sie bucht aber nur die Ver- wahrgebühr als Umsatz“, zieht Wicke einen Vergleich und ergänzt: „Gemäß IFRS 17 dürfen künftig die Sparanteile im Lebensversicherungsgeschäft nicht mehr als Versicherungsumsatz ausge- wiesen werden.“ Sein Kollege Bas de Vries, Head of Group Controlling & Finance bei der Talanx AG, ergänzt: „Mit Anwendung von IFRS 17 haben wir keine gebuchte Sicht mehr, sondern eine verdiente Sicht. Wir betrachten nicht mehr die ge- buchte Bruttoprämie, sondern den Versiche- rungsumsatz. Der wird dann künftig niedri- ger sein als die gebuchte Bruttoprämie unter IFRS 4.“ Das fondsgebundene Lebensversi- cherungsgeschäft mit seinem Ergebnis wird künftig separat aufgeführt. „Damit wird deutlich, dass die Entwicklung der Versiche- rungsfonds keinen direkten Einfluss mehr auf das Ergebnis des Versicherers hat“, so de Vries. Rötger Franz hingegen hält den Einfluss des neuen Standards auf die Zu- sammensetzung des Neugeschäfts für über- schaubar: „Das Neugeschäft ist zu einem großen Teil durch regulatorische Kapitalan- forderungen getrieben, das heißt, Versiche- rer schauen zuerst auf ihre Solvency-II-Bi- lanz und dann auf ihre IFRS-Bilanz.“ Die Solvenzregulierung habe bereits dazu ge- führt, dass die Versicherer das Geschäft mit langfristigen Garantien meiden. „Die klassi- sche Kapitallebensversicherung ist unter Solvency II sehr kapitalintensiv geworden. Daher haben die Unternehmen hier das Neugeschäft massiv zurückgefahren und fo- kussieren sich jetzt auf das fondsgebundene und das Risikogeschäft“, erklärt Franz und stellt klar: „Das ist ökonomisch auch sinn- voll. Langfristige Garantien haben ihren Preis. Daher ist es richtig, wenn sie auch entsprechend mit Kapital zu hinterlegen sind.“ Auch die meisten Analysten fokus- sierten sich überwiegend auf die Betrach- tung der Solvency-II-Bilanz. „Daher wird die große Aufgabe für die nächsten 25 Jahre sein, die Unterschiede zwischen IFRS und Solvency II beziehungsweise anderen Auf- sichtsregimes auszugleichen“, meint Franz. Teure Umstellung Billig ist die Umstellung auf die neue Rechnungslegungsvorschrift nicht. Die Ver- sicherungshäuser bereiten sie bereits seit Langem vor, und der Aufwand ist immens. Den Gesamtaufwand für die Talanx-Gruppe beziffert Jan Wicke auf über 100 Millionen Euro. Ein anderer großer Versicherer spricht von über 40 Millionen Euro und einer „er- heblichen Bindung von Ressourcen“ für die Umstellung. Franz kann erklären, warum der Aufwand so hoch ist: „Die Versicherer haben über Jahre nach IFRS 4 bilanziert. Nun braucht man komplett neue Rechnungslegungssys- teme, und die Mitarbeiter in den Accounting Departments der Versicherer müssen auf die neuen Reportingstandards geschult werden.“ Außerdem seien andere Daten zu erfassen als in der Vergangenheit und diese anders zu bearbeiten. „Die Häuser werden künftig auch andere Entscheidungen hinsichtlich ih- rer Bilanzpolitik treffen“, meint Franz. Künftig höhere Bewertung? Trotz des hohen Aufwands spricht vieles dafür, dass sich dieser am Ende lohnt. » Der CSM wird künftig eine sehr interessante Größe sein. « Dr. Carsten Zielke, Zielke Research Consult GmbH in Aachen Ab 2023 ist nach dem neuen Standard zu berichten Diese Timeline hat sich Talanx gegeben. Erstmals im 1. Quartalsbericht 2023 müssen Versicherer die neuen Accounting-Standards IFRS 17 und IFRS 9 anwenden. Die Eröffnungsbilanz 2022 wird dazu noch in beiden Standards dargestellt. Quelle: Talanx HEUTE 6. Dez. 2022 15. März 2023 4. Mai 2023 1. Jän. 2023 1. Jan. 2022 Eröffnungsbilanz IFRS 17 / 9 (einmaliger Eigenkapitaleffekt, gefolgt von einem Jahr Schatten- bilanzierung) Beginnen der Anwendung von IFRS 17 / 9 Workshop Qualitative Einführung der wichtigsten Stakeholder in das neue Rechnungsle- gungsregime Geschäftsbericht 2022 Der Vorstand nimmt Stellung zu den wesentlichen Änderungen in der Rechnungslegung. Ergebnisse Q1 2023 Erste Ergebnisse nach mit Vergleichs- zahlen für Q1/2022 und kompatibler Eröffnungsbilanz zum 1. 1. 2022 Capital Markets Day Erste quantitative Prognose zu den Auswirkungen von IFRS 17 / 9 » Versicherer schauen zuerst auf ihre Solvency-II-Bilanz und dann auf ihre IFRS-Bilanz. « Rötger Franz, Portfolio Manager, Senior Insurance Analyst, Plenum Investments 266 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com S T E U E R & R E C H T | I FRS -VERS I CHERUNG FOTO: © KLAUS BERNER, PLENUM INVESTMENTS

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=