Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

führend. „Der Begriff Nachhaltigkeit ist nicht einfach für alle zu definieren, und die Ziele können sich zum Beispiel durch die Erschließung neuer Technologien ändern. Schließlich weiß man heute nicht, welche Technologie sich etwa für das Speichern alternativer Energien durchsetzen wird“, meint Kastner und verweist auf die Wasser- stofftechnologie, die derzeit noch nicht wirt- schaftlich nachhaltig einsatzfähig ist. „Der Markt sollte flexibel bleiben. Es wird nicht jeder Asset Manager 100 Prozent nachhaltig sein können, und es wird auch nicht jeder Investor dasselbe unter Nachhaltigkeit ver- stehen.“ Kommerzieller Druck Von 100 Prozent ist man weit entfernt, aber der Anteil der als nachhaltig gela- belten Fonds steigt. Ganz offensichtlich gibt es Anlegerdruck. „Infolge der zahl- reichen Hochstufungen sowie der Auf- lage neuer Fonds (183 im zweiten Quartal 2022) machen Artikel-8- und Artikel-9-Fonds jetzt mehr als die Hälf- te des gesamten EU-Fondsvermögens aus, gegenüber nur einem Drittel vor einem Jahr“, berichtet Morningstar. Das Analyse- haus fand heraus, dass im zweiten Quartal 2022 insgesamt 713 Fonds ihren SFDR- Status geändert haben, darunter 696 mit He- raufstufung und 16 mit Herabstufung. „Fondsgesellschaften spüren eindeutig den kommerziellen Druck, so viele Fonds wie möglich zu haben, die mindestens die An- forderungen von Artikel 8 erfüllen“, erklärt Morningstar. Unsicherheit im Spiel Trotz der generellen Nachhaltigkeitsbe- fürwortung ist auch viel Unsicherheit mit im Spiel, unter anderem bei der Formulie- rung der Prospekte. „Wenn die Nachhaltig- keitsregeln für den Prospekt eines Artikel- 8- oder -9-Fonds formuliert werden, bewegt man sich auf dünnem Eis. Einerseits muss der Wortlaut rechtssicher sein, andererseits müssen die Formulierungen so sein, dass sie auch in einigen Jahren, wenn das Thema Nachhaltigkeit viel klarer und detaillierter aufbereitet sein wird, noch standhalten. Ein Stück weit bleibt man hier im Feuer, denn in der Rückschau ist man dann womöglich schlauer“, meint Rechtsanwalt Martin Wolff. Vieles an der ESG-Materie sei eben noch im Fluss. „Beispielsweise erlaubt die BaFin, dass ein deutscher Fonds im Namen die Buchstaben ESG hat. Das Wort Sustainable im Fondsnamen wurde jedoch schon akzep- tiert“, erklärt Wolff. Dabei käme es oft auch darauf an, in welchem Referat beziehungs- weise bei welchem Sachbearbeiter der BaFin man landet. „In Sachen ESG und Nachhal- tigkeit hat sich noch keine feste Verwal- tungspraxis ausgebildet“, beobachtet er. Shell wird verklagt Nicht nur Asset Manager sehen sich Kla- gerisiken ausgesetzt, auch Energieunterneh- men bewegen sich mitunter auf dünnem Eis, beispielsweise die britisch-niederländi- sche Shell. 2019 drohte ein Bündnis aus mehreren Umweltverbänden dem Energie- unternehmen eine Klage an. Die Argumen- tation der Umweltaktivisten: Shell habe sich seit Jahrzehnten dafür entschieden, große Gewinne auf Kosten des Klimas zu erzie- len. So habe der Konzern 2,1 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes seit 1988 verursacht, dessen schwerwiegende Auswir- kungen bereits spürbar seien. „Nun müssen wir sicherstellen, dass Shell die Verantwor- tung für seine Maßnahmen übernimmt und das zerstörerische Geschäftsmodell ändert“, erklärt Joris Thijssen, der Chef von Green- peace Niederlande, im Zusammenhang mit der Klage. Und Shell ist nicht der einzige Fall für solche Klagen. Die Vorwürfe gehen dabei weit in die Vergangenheit zurück, was schwierig rückgängig zu machen ist. Auch vor tätlichen Übergriffen müssen die Unternehmen Angst haben. Erst im Ok- tober 2022 wurde das Haus von Chubb- Chef Evan Greenberg in New York bela- gert: Über 50 Klimaaktivisten demonstrier- ten damit gegen die Zeichnungspolitik des Versicherers und hofften auf diese Weise verhindern zu können, dass Chubb weiter- hin Öl- und Gasprojekte versichert. Recht- liche Schritte, die ex post eingeführt wer- den, stellen ein weiteres Schreckgespenst dar. So geht es aktuell europäischen Ener- gieunternehmen an den Kragen, die zu hohe Gewinne erwirtschaften. Robin-Hood-Prinzip Der EU-Gesetzesvorschlag vom 14. Sep- tember 2022 sieht vor, dass Unternehmen, die auf günstige Weise Strom produzieren, demnächst zur Kasse gebeten werden, denn sogenannte „Sondergewinne“ von Stromer- zeugern in der EU sollen abgeschöpft wer- den. Aus dieser Maßnahme rechnet Kom- missionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Erlös von 140 Milliarden Euro, die dann an bedürftige Haushalte und Un- ternehmen weitergeleitet werden sollen. Ob man damit dem Ziel Nachhaltigkeit näher kommt, ist fraglich, denn von der Umver- teilung sind nicht nur Unternehmen betrof- fen, die Strom aus Kohle oder Atomkraft produzieren, sondern auch Produzenten er- neuerbarer Energien. Der Grund: Die Stromerzeugung aus Wind- und Solarener- gie ist mittlerweile relativ günstig gewor- den, zumindest im Vergleich zur Stromher- stellung aus Gas. In Europa orientiert sich der Strompreis aber jeweils an der teuersten Quelle, und die ist derzeit Gas. Änderungen ex post sind für vorausschauend planende Unternehmen ein erhebliches Risiko. Wie geht es weiter? Wie soll es nun weitergehen mit der Nach- haltigkeitsregulierung? Zurückdrehen will und kann man die vollmundig begonnene Transformation nicht, aber man kann kurz in- nehalten und die vielen Regelungen, die er- forderlich sind, sorgfältiger planen, damit die Räder des riesigen Wirtschaftsgetriebes und der Transformation besser ineinandergreifen. Vielleicht brauchen wir alle einmal diese Auszeit, um wieder besser auf die Nachhal- tigkeitsspur zu kommen. ANKE DEMBOWSKI » Man braucht keine Angst vor Klagen zu haben, wenn man sich an das hält, wozu man sich verpflichtet hat. « Andreas von Angerer, Head of Impact des digitalen Nachhaltigkeitsvermögensverwalters Inyova 254 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com S T E U E R & R E C H T | E SG- REGUL I ERUNG : KLAGER I S I KEN FOTO: © INYOVA

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