Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

wenn renommierte Einrichtungen wie das Ifo-Institut oder auch das Kieler Weltwirt- schaftsinstitut derzeit noch von einem etwas geringeren Rückgang ausgehen. In den USA besteht nach wie vor eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir ein soge- nanntes Soft Landing sehen werden. Das heißt, auch dort wird die Wirtschaft nicht wirklich schnell wieder Fuß fassen können, aber das Wachstum wird irgendwo zwi- schen null und einem Prozent liegen. Das würde auch zu den meisten Schätzungen in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer Rezession passen, die für die USA momen- tan bei 60 Prozent, für Europa bei ungefähr 85 Prozent liegt. Aber auch wenn das nicht auszuschließen ist, gehe ich nicht davon aus, dass es zu einer extremen, sondern eher zu einer nur leichten Rezession kom- men wird. Wie wird sich das in konkreten Zahlen in Bezug auf die Gewinne von Unternehmen ausdrücken? Jan Viebig: Der Gewinnrückgang wird bei einigen Unternehmen schon sehr deutlich ausfallen. Insbesondere Firmen, die Güter herstellen oder Dienstleistungen anbieten, auf die die Menschen ohne Weiteres ver- zichten können, werden diesen Nachfrage- rückgang unter Umständen empfindlich zu spüren bekommen. Aber dieser Gewinn- rückgang wird nicht bei einer Größen- ordnung von 20 oder 30 Prozent liegen, wie wir es zum Teil während der Covidkrise erlebt haben. Wenn man gleichzeitig das Kurs-Buchwert-Verhältnis miteinbezieht, das für die Unternehmen im DAX Index derzeit bei ungefähr 1,4 liegt, dann sind Aktien ja schon jetzt nicht mehr viel zu teuer bewertet. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass es im Zusammenhang mit einer schwachen Konjunktur zu einer neuen Schuldenkrise im Euroraum kommen könnte? Jan Viebig: Ich glaube, das Risiko ist durch- aus gestiegen. Dazu reicht ein sachlicher Blick in die Entwicklung der Spreads von Staatsanleihen. Die größten Sorgen muss man sich dabei momentan um Italien machen. Vieles wird davon abhängen, wie die Politik mit der aktuellen Situation umgeht. Wenn eine rechtspopulistische Par- tei wie die der neuen italienischen Minister- präsidentin Giorgia Meloni all ihre Wahl- versprechen umsetzen würde, dann würde das natürlich die ohnehin schon hohe Ver- schuldung Italiens noch weiter nach oben treiben. So weit wird es aber meines Erach- tens nicht kommen, denn am Ende will auch Italien seinen Anteil an dem erstmals in der Geschichte der Europäischen Union durch gemeinsame Schuldenaufnahme finanzierten 750-Milliarden-Hilfspaket namens „NextGenerationEU“ erhalten und sich schon deswegen halbwegs europa- freundlich verhalten müssen. Das lässt mich zumindest hoffen, dass es zu keiner neuen Staatsschuldenkrise kommen wird. Wie sieht Ihr Blick nach vorn aus? Mit wel- chen Überraschungen rechnen Sie? Jan Viebig: Bei dieser Frage fällt mir als Erstes der Ukraine-Krieg ein, bei dem es sowohl zu einer positiven als auch zu einer extrem negativen Überraschung kommen könnte. Positiv wäre natürlich, wenn es zu einer raschen Lösung und dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen käme. Eine negative Entwicklung wäre, wenn sich der Konflikt weiter verschärfen würde, etwa wenn Russland am Ende doch nicht vor dem Einsatz von taktischen Atomwaf- fen zurückschrecken würde. Unter rein rationalen Überlegungen wird es wohl we- der zu der positiven noch zu der negativen Überraschung kommen, sodass wir uns am Ende wahrscheinlich darauf einstellen müs- sen, dass der Krieg noch länger anhalten wird. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Der Gewinnrückgang wird bei einigen Unternehmen schon sehr deutlich ausfallen. « Jan Viebig, CIO Oddo BHF 228 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | J AN V I E B I G | ODDO BHF FOTO: © AXEL GAUBE

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