Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

fristigen Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB reduzieren werden, wodurch sich die Bilanz der EZB mithin verkürzen wird. Als Effekt ergibt sich daraus: Abhängig davon, wie schnell die EZB ihre Anleihenbestände reduziert, könnte der Angebotsüberhang an europäischen Staatsanleihen im Jahr 2023 bei deutlich über 500 Milliarden Euro lie- gen. Die europäischen Staaten werden also höhere Renditen bieten müssen, um willige Abnehmer für ihre Emissionen zu finden. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Jan Viebig: Wir werden Kurs halten, deshalb wird die Duration in unseren Anleihenport- folios vorerst weiter kurz bleiben. Natürlich haben sich einerseits die Renditen von Unternehmens- wie auch Staatsanleihen aufgrund des Zinsanstiegs seit Jahresanfang deutlich erhöht. Und auch die Zinsunter- schiede von Investment-Grade-Anleihen und High Yield Bonds relativ zu Staatsan- leihen hoher Bonität sind auf attraktive Niveaus gestiegen. Immerhin erhält man aktuell für in Euro notierte Investment- Grade-Papiere eine Verzinsung von zirka 4,5 Prozent, für Euro-Hochzinsanleihen sind es sogar 8,4 Prozent. Und wer das Währungsrisiko nicht scheut, kann mit auf US-Dollar lautenden Hochzinsanleihen sogar eine Verzinsung von über neun Pro- zent erzielen. Aber auch wenn das durchaus attraktive Niveaus sind: Unter Berücksich- tigung einer immer noch immens hohen Inflation ist die erzielte Realverzinsung in der Regel immer noch negativ. Deshalb ändern wir nichts an unserer Strategie. Eben weil aus unserer Sicht noch nicht die Zeit gekommen ist, um durch eine Verlängerung der Laufzeiten in unseren Anleihenport- folios von Kurssteigerungen bei wieder fallenden Zinsen profitieren zu können. Wir bleiben lieber in Lauerstellung. Wann erwarten Sie denn den Zeitpunkt, an dem auch Sie das Kreditrisiko wieder erhö- hen werden? Jan Viebig: Das wird vermutlich frühestens im ersten Quartal 2023 der Fall sein. Anders als das eingangs zum Wiedereinstieg bei Aktien Gesagte hat es sich in der Vergan- genheit als vorteilhaft erwiesen, das Kredit- risiko nach Beginn einer Rezession – und auch dann nur schrittweise – zu erhöhen. Dafür ist es meiner Auffassung nach ein- deutig noch zu früh. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass man sich als Investor von gestiegenen Ren- diten für High-Yield-Papiere zu sehr verlei- ten lässt? Anders gesagt: Nach der Korrek- tur zu hoher Bewertungen wird man doch aufgrund der konjunkturellen Abschwä- chung in naher Zukunft mit Gewinnrevisio- nen der Unternehmen rechnen müssen. Jan Viebig: Ich gebe Ihnen recht, es wird unzweifelhaft zu Gewinnrevisionen bei den Unternehmen kommen. Auch das hängt in gewisser Weise mit dem Thema Angebots- schock zusammen. Denn in einer solchen Phase geht – eben aufgrund einer stark ge- stiegenen Inflation – die Nachfrage zurück. Wer an der Zapfsäule mehr für sein Benzin zahlen muss, hat eben weniger Geld zur Verfügung, um andere Güter zu kaufen. Wenn gleichzeitig die Zinsen steigen, bedeutet das, dass Investitionen zurückge- fahren werden, was sich ebenfalls negativ auf der Einnahmenseite von Unternehmen bemerkbar macht. Das sind zwei Effekte, die gerade erst einsetzen und im vierten bis in das erste Quartal des kommenden Jahres hinein mit Sicherheit ihre Spuren auf der Gewinnseite von Unternehmen hinterlassen werden. Die Frage ist, wie stark die Auswir- kungen dieser Effekte sein werden. Wovon gehen Sie aus? Jan Viebig: Das nach meiner Auffassung wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir in Europa im kommenden Jahr einen Rück- gang des Bruttoinlandsprodukts von unge- fähr einem Prozent erleben werden, auch » Der Rückgang der Inflation aufgrund des zu erwartenden Basiseffekts wird in Europa geringer ausfallen als in den USA. « Jan Viebig, CIO Oddo BHF N o. 4/2022 | www.institutional-money.com 227 P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | J AN V I E B I G | ODDO BHF FOTO: © AXEL GAUBE

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