Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Warum? Jan Viebig: Ein Angebotsschock geht in der Regel erst dann zu Ende, wenn die Core- Inflation, die die sehr volatile Preisentwick- lung von Nahrung und Energie ausschließt, höher ist als die gröbere Headline-Inflation. Dazu müssten die Energiepreise im Jahr- über-Jahr-Vergleich nicht mehr so stark steigen wie die Inflation. Und das wird vermutlich erst im Februar, eher im März der Fall sein. Woran machen Sie das fest? Jan Viebig: Die Entwicklung des Ölpreises ist ein guter Indikator dafür. Im März dieses Jahres lag der Ölpreis bei rund 120 US-Dol- lar. Anhand der Notierungen an den For- wardmärkten lässt sich ablesen, dass der Öl- preis zu Beginn des kommenden Frühjahrs wahrscheinlich zurückgehen wird, wenn kein unerwartetes Ereignis auftreten sollte. Das ist typischerweise der Zeitpunkt, an dem die konjunkturdämpfende Wirkung eines solchen Angebotsschocks zu Ende geht. Damit ist aber noch nicht die für einen Investor entscheidende Frage beantwortet, wann er wieder investieren sollte. Welche Antwort geben Sie ihm? Jan Viebig: Einmal abgesehen davon, dass es nicht den einen konkreten Zeitpunkt gibt, zu dem man wieder investieren sollte, sondern dass man in aller Regel abgestuft vorgehen sollte: Der Blick in die Geschichte hilft. Seit 1965 haben wir in den USA acht Rezessio- nen erlebt. In sieben dieser Rezessionen war es richtig zu investieren, kurz bevor die rezessive Phase geendet hat. Die einzige Situation, in der das nicht gut funktioniert hat, war nach der Internet-Bubble im Jahr 2000, was aber vor allem damit zusammen- hing, dass damals zum einen die Kurse an den Aktienmärkten extrem weit nach oben gelaufen waren und zum anderen die Rezes- sion nur vergleichsweise kurz angehalten hat. Man hätte damals einfach etwas länger warten müssen, um dann den wirklichen Tiefpunkt im März 2003 zu erreichen, an dem sich der Einstieg tatsächlich wieder gelohnt hat. Wie weit sind wir denn diesmal noch von diesem Tiefpunkt entfernt? Jan Viebig: Ich fürchte, noch eine geraume Weile. Denn das Dumme in der aktuellen Situation ist: Die Rezession beginnt ja gerade erst. Und diesmal wird es weder ein „V“ noch ein „U“ bei der Erholung werden, auch wenn wir nicht mit einer wirklich schweren Rezession rechnen. Aber von einem Ende sind wir noch relativ weit entfernt. Wir rechnen eher damit, dass die rezessive Phase, vor der wir jetzt voraus- sichtlich stehen, erst im dritten Quartal 2023 wieder beendet sein wird. Sie scheinen im laufenden Jahr ein gutes Händchen zu haben. Ihr Aktienportfolio haben Sie jedenfalls rechtzeitig kurz vor Ausbruch des Ukraine-Krieges auf unterge- wichtet zurückgefahren. Haben Sie etwa die Kristallkugel, die sich alle wünschen? Jan Viebig: Schön wär’s, aber leider haben auch wir keine solche. Wir haben damals, konkret gesagt zehn Tage vor dem russi- schen Einmarsch, unsere Quote nicht des- halb reduziert ist, weil wir gewusst oder geahnt hätten, dass der Krieg beginnt. Aber schon in der Zeit vor dem Ausbruch war ja zum einen zu beobachten, dass Russland zunehmend mehr Truppen an der ukraini- schen Grenze auffahren ließ. Zum anderen war die Rhetorik gegenüber dem Nachbar- land viel härter geworden, woran auch die Diplomatie nichts ändern konnte. Das war es, was uns bewogen hat, unsere Aktien- positionierung auf ein leichtes Untergewicht zurückzufahren. » Diesmal wird es weder ein ›V‹ noch ein ›U‹ bei der Erholung werden. « Jan Viebig, CIO Oddo BHF 224 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | J AN V I E B I G | ODDO BHF FOTO: © AXEL GAUBE

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