Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Plattform Tanker Trackers hatten die Schiffe knapp 50 Millionen Barrel Öl aus Saudi- Arabien an Bord. Das war fast zehnmal mehr als die übliche monatliche Lieferung. Immer mehr Schiffe wurden in der Folge zu schwimmenden Tanks umfunktioniert – so- genannte „Floating Storages“. Jeder zehnte der weltweit rund 750 Supertanker wurde mitunter so eingesetzt. „Wöchentlich kom- men etwa zehn weitere dazu“, sagte Jens Rohweder, Geschäftsführer der maritimen Investmentberatung Notos Consult, damals gegenüber dem „Tagesspiegel“. 60 weitere kleinere Tanker dienten Ende April 2020 ebenfalls als Zwischenlager, wie Zahlen von Lloyd’s List Intelligence auswiesen – mehr als 163 Millionen Barrel Rohöl waren sol- cherart auf hoher See geparkt. „Wir haben beim Floating Storage schon jetzt den bis- herigen Rekordstand von 2009 erreicht, aber noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Wir blicken jedenfalls auf Zahlen, die es so noch nie gegeben hat“, schilderte Rohweder. Am Ende sollten diese Zustände zu einem De-facto-Kollaps des Marktes und bizarrerweise zu negativen Ölpreisen an den Finanzmärkten führen. So viel zu den damaligen und gegenwär- tigen Verwerfungen. Stellt sich die Frage, wie häufig Hochrisikoszenarien wie diese – also sogenannte Tail Risks – am Rohstoff- markt nun tatsächlich auftreten. Die Ant- wort: Öfter als man meint, wie die Studie „Commodity Tail Risks“ von Manuel Am- mann, Mathis Moerke, Marcel Prokopczuk and Christoph Würsig aufzeigt. Hochrisikoanalyse Die vier Wissenschaftler, von denen die ersten beiden an der Universität St. Gallen und die anderen beiden an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität in Hannover wirken, haben angesichts der enormen Aus- wirkungen, die Rohstoffpreise auf Märkte, Unternehmen und Volkswirtschaft haben, die Tail Risks der Rohstoffmärkte von Ja- nuar 1996 bis April 2020 gemessen. Damit wird auch der Zeitpunkt, an dem die zuvor geschilderten Engpässe aufgetreten sind, erfasst. Die Eskalationen ab dem Frühjahr werden demzufolge zwar nicht berücksich- tigt, die Studie liefert aber dennoch valide Hinweise auf die dahinter liegenden Mecha- nismen. Das gilt umso mehr, als „nicht nur die linken Tail Risks“, also massive Verlust- risiken, „sondern auch die rechten Tail Risks“, also massive Aufwärtsrisiken, in der Arbeit berücksichtigt wurden. Ammann erklärt die dahinter liegende Motivation folgendermaßen: „Während etwa für die Aktienmärkte im Großen und Ganzen nur fallende Preise als Risiko zu verstehen sind – steigende hingegen in der Regel nicht –, ist das am Rohstoffmarkt anders. Dort stel- len auch steigende Preise ein Risiko dar – nämlich für die Verbraucher.“ Die Vorgehensweise Die Autoren haben für besagten Zeitraum die monatlichen Rohstoffoptionsdaten des Commodity Research Bureau (CRB) ver- wendet und auf diese Weise über die impli- zite Volatilität die Tail Risks der Rohstoff- märkte erfasst. „Um in weiterer Folge Ex- tremrisiken herauszufiltern, haben wir nur OTM-Optionen (Anm.: „out of the money“, aus dem Geld) herangezogen, da nur ausge- prägte Ereignisse die Preise dieser Optionen signifikant beeinflussen.“ Geringe Schwan- Erdöl kann durchaus als der ikonischste aller Rohstoffe gesehen werden. Doch gerade bei strategischen Gütern wie Erdöl oder speziell Erdgas hat sich in den vergangenen Monaten die Frage nach den dahinter liegenden Marktmechanismen neu gestellt. Ein Wissenschaftsteam aus St. Gallen und Hannover hat sich einigen Antworten angenähert. P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | ROHS TOF F - TA I L - R I SKS N o. 4/2022 | www.institutional-money.com 197 FOTO: © DITER | STOCK.ADOBE.COM

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