Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

könnte. Die Nichtzahlung von Anleihenzin- sen könnte ein kreativer Weg sein, um Wahlkämpfe zu finanzieren. Doch GMO hält dieses Risiko für gering. Die Interaktion zwischen den Anleihen- märkten und den Regierungen ist ein Spiel mit Wiederholungen im Sinne der Spiel- theorie. Die Spieler lernen durch ihre Hand- lungen voneinander. Da die Kapitalisie- rungsoption nur einmal während der Lauf- zeit der Anleihe gezogen werden kann, wer- den Regierungen sie wahrscheinlich spar- sam einsetzen. Diejenigen, die sie miss- brauchen, indem sie sie in einem Jahr nutzen, in dem es keine echte Krise gibt, würden sich als unverantwortlich entlarven und einem Anstieg der Rendi- ten ihrer Anleihen ausgesetzt sein. Diese Dynamik könnte ein sehr wirksamer Selbstkontrollmechanismus sein. Bei dieser reinen, als Kapitalisie- rungsoption bezeichneten PIK-Form entsteht den Anleihengläubigern aus Sicht des Kapitalwerts kein Verlust, wenn man davon ausgeht, dass keine weitere Abzinsung der Risikospanne vorgenommen wird, unabhängig davon, ob die Kupons im ersten, fünften oder im zehnten Jahr ausge- lassen werden. Daher dürfte eine solche Struktur das Land im Hinblick auf die zusätzliche Rendite, die es für die Erstemis- sion zu zahlen hätte, nur sehr wenig kosten. Ein weiterer Kritikpunkt könnte jedoch sein, dass es sich nicht um einen reinen Schuldenerlass, sondern nur um eine Liqui- ditätsentlastung handelt. Zwei weitere Varianten Die beiden Experten können sich neben der Kapitalisierungsoption zwei weitere ein- fache Formen des Modells vorstellen, bei denen es einen Schuldennachlass gäbe. Doch dieser wäre für den Emittenten mit zusätzlichen Kosten verbunden: 1. Die Option des Forderungsverzichts (Erlassoption): Hier handelt es sich um eine Anleihe, bei der zwei aufeinander- folgende halbjährliche Kupons ausge- lassen werden könnten, ohne dass die Anleihengläubiger eine Rückzahlung er- halten (kein PIK). Dies ist ein reiner Schuldenerlass und daher für den Emit- tenten in Bezug auf die zusätzliche Ren- dite, die er zahlen müsste, um Anleger zum Kauf der Anleihe zu bewegen, am teuersten. 2. Die Stundungsoption: Irgendwo in der Mitte zwischen der Kapitalisierungsop- tion und der Erlassoption könnte eine Anleihe liegen, die dem Emittenten die Option einräumt, die Kupons für zwei beliebige aufeinanderfolgende Halbjah- reszeiträume aufzuschieben und bei Fäl- ligkeit zu zahlen. Dies würde den Schul- denstand effektiv erhöhen, da es sich um eine Forderung an den Staat handelt, aber die Zinszahlungen in der Zwischenzeit würden nicht auf diesen zusätzlichen Bestand angerechnet, wie das bei der Kapitalisierungsoption der Fall wäre. Dies würde den staatlichen Emittenten weniger kosten als die Erlassoption, aber mehr als die Kapitalisierungsoption. Die zusätzliche Rendite, die die Länder für diese Option bezahlen müssten, kann man als eine Art Versicherungsprämie be- trachten. Die Tabelle „Optionen und Rendite- aufschläge“ illustriert, wie viel zusätzliche Rendite Staaten zahlen müssen, damit es für die Investoren keinen Unterschied macht, ob sie eine solche Anleihe mit einer weniger vorhersehbaren Zahlungsstruktur oder eine Plain-Vanilla-Anleihe halten. Investoren werden eine Prämie verlangen, die auf das Worst-Case-Szenario, die sofortige Nutzung in Jahr eins, hinausläuft. Unter dieser Annahme würde die zusätzliche jährliche Prämie, die der Emittent zahlen müsste, zwischen 0,5 und 1,2 Prozent pro Jahr bei der Erlassoption und zwischen 0,1 und 0,6 Prozent pro Jahr bei der Stundungsoption liegen. Die Spanne hängt von der anfäng- lichen Kreditwürdigkeit des Emittenten ab. Wäre ein Emittent, der Staatsanleihen zu vier Prozent begeben kann, bereit, 0,5 Pro- zent mehr pro Jahr für die Option zu zahlen, während der Laufzeit der Anleihe zwei Kupons auszulassen? GMO ist sich nicht sicher. Dieser Emittent hat wahrscheinlich ein Investment-Grade-Rating und kann sich wohl gegen einen massiven Schock wie eine weltweite Pandemie „selbst versi- chern“. Wäre er bereit, 0,1 Prozent mehr pro Jahr für die Option zu zahlen, einige Kupons im Fall einer Naturkatastrophe oder eines fiskalischen Schocks aufzuschieben? Das ist wahrscheinlicher. Ross und Ulukan glauben, dass diese Option in diesem Jahr für sehr viele Länder von Vorteil gewesen wäre, selbst für solche mit Marktzugang. Wie ist es um einen Staat bestellt, der zu einer Rendite von acht Prozent wie bei einem Single-B-Staatskredit platziert? Wäre er bereit, zusätzlich 1,2 Prozent zu bezah- len, um zwei Kupons auslassen zu können? Vielleicht. Oder 0,6 Prozent mehr für die Stundungsoption? Dies scheint wahrschein- licher. Noch wahrscheinlicher wäre die Inanspruchnahme der Kapitalisierungs- option, die wenig bis gar nichts an zusätz- lichen Renditeaufschlägen kosten würde. Geld- und nervensparend GMOs Vorschlag mit drei Optionen (Kapitalisierung – Stundung – Erlass) hat den Charme der höheren Einfachheit gegen- über den anderen Ideen, die Wissenschaft und supranationale Organisationen beschäf- tigen. Eine vertraglich vereinbarte – und nicht erst zu verhandelnde – Flexibilität im Schuldendienst kommt Schwellenländern und Grenzmärkten entgegen und spart Geld und Nerven aller Beteiligten. Wer etwas dagegen hat, sind die professionellen Re- strukturierungsberater und spezialisierten Anwaltskanzleien. Die Marktkräfte sollten verhindern, dass Staaten die ihnen ein- geräumten Optionen missbräuchlich einset- zen. Die erzielbare Liquiditätserleichterung durch eine in Anleihenverträge eingebettete PIK-Option könnte andere Hilfen von multilateralen und bilateralen Gläubigern ergänzen. Denn bei schwerer Schieflage braucht es nach wie vor teilweise Schul- denstreichungen beziehungsweise Um- schuldungen. DR. KURT BECKER » Unser Vorschlag der drei Optionalitäten ist bestrickend einfach und sehr praktikabel. « Mustafa Ulukan, Emerging Country Debt Team, GMO 176 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | SOVERE I GN CONT I NGENT BONDS FOTO: © GMO

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