Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

I m August dieses Jahres ließen Be- richte über eine Warnung des Inter- nationalen Währungsfonds Inhaber von Schwellen- und Entwicklungs- länderanleihen aufhorchen: Mehr als 40 Staaten waren demnach im Sommer dieses Jahres gefährdet, in nächster Zukunft zah- lungsunfähig zu werden. Schon im März hat die Weltbank die Befürchtung geäußert, dass die Folgen des Ukraine-Kriegs zu einer Welle von Staatsbankrotten in Ent- wicklungsländern führen könnten. Nun sind Emerging-Market-Debt-Krisen nichts Neues, seit Jahrzehnten geraten diese Schuldner mit unschöner Regelmäßigkeit aus unterschiedlichen Gründen immer wie- der unter Druck. Traditionell wird in Pha- sen, in denen Schwellenländer Zahlungs- probleme bekommen, über Aufschub bezie- hungsweise Schuldennachlass gesprochen, vor allem für Länder, die nur über begrenzte Ressourcen und eine schwache Infrastruktur im Gesundheitswesen verfügen. So forder- ten etwa die bekannten Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff ein generelles Schuldenmoratorium für alle Staaten mit Ausnahme derjenigen, die ein Triple-A-Ra- ting besitzen. Seit 2020 läuft die G20-Initia- tive zur Aussetzung des Schulden- dienstes (Debt Service Suspension Initiative), die vorsieht, dass mehrere Dutzend der ärmsten Staaten vorü- bergehend ihre Schuldenrückzahlun- gen an bilaterale öffentliche Gläubi- ger der G20 aufschieben können. Bei den Gläubigern handelt es sich vorwiegend um Export-Import-Ban- ken und ähnliche Einrichtungen. Dieser Plan schließt aber auch pri- vate Gläubiger (einschließlich der Anleihengläubiger) mit ein. In der Praxis hat sich diese „Beteiligung des Privatsektors“, als Private Sector Involvement (PSI) bezeichnet, aller- dings als schwierig erwiesen. Angesichts dieser Ausgangslage überleg- ten Carl Ross und Mustafa Ulukan, beide Mitglieder im Emerging Country Debt Team des Asset Managers GMO, ob es nicht einen intelligenteren Weg geben kön- ne, Anleihen von Staaten zu gestalten, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnten. Vor allem angesichts der Corona- krise, die auch einige Schwellenländermärk- te ohne eigenes Verschulden hart traf, frag- ten sich Ross und Ulukan, ob nicht Pflicht- wandelanleihen, die bei Erreichung eines bestimmten negativen Ereignisses (Trigger) von Fremd- in Eigenkapital umgewandelt werden und Elemente der Verlustabsorption in sich tragen, ein geeignetes Instrument wären. Man müsste dafür auch das Rad nicht neu erfinden, denn diese Wertpapierart ist nicht neu, sondern wird von Emittenten der Finanzindustrie längst eingesetzt. Ein deutlich höherer Kupon soll die Gläubiger für das zusätzlich übernommene Risiko entschädigen. Die Idee der „State Contingent Obliga- tions“ (SCOs) scheint verlockend, handelt es sich doch um Schulden, deren Zahlungsströ- me vergleichsweise unsicher und von einem bestimmten „Zustand der Welt“ abhängig sind. Sie können an wirtschaftliche oder finanzielle Zustände geknüpft werden, wo- bei die Schuldendienstzahlungen nicht fest, sondern variabel sind und stärker mit der Zahlungsfähigkeit eines Staates korrelieren. Ganz so neu ist die Idee übrigens nicht, doch blieb sie bis dato eine akademische Übung. Andrea Consiglio und Stavros Zenios haben bereits 2015 ein Working Paper mit dem Titel „The Case for Con- tingent Convertible Debt for Sovereigns“ publiziert, und auch der IWF veröffentlichte mit „State-Contingent Debt Instruments for Sovereigns“ 2017 eine Arbeit ähnlichen Inhalts. Historische Beispiele Auch historische Beispiele gibt es. Die erste Anleihe dieser Art – so berichten Ross und Ulukan – wurde 1780 vom Staat Mas- sachusetts begeben. Es handelte sich dabei um eine „Depreciation Note“, bei der die Zinszahlungen an einen Warenkorb gebun- den waren. Seitdem hat dieses Konzept schrittweise Fortschritte bei der Verknüp- fung von Schuldenrückzahlungen mit rele- vanten, messbaren Variablen ge- macht. In den 1970er-Jahren emit- tierte Mexiko mehrere an den Öl- preis gebundene Anleihen. In den 1980er- und 1990er-Jahren emittierte eine Reihe von Ländern, darunter Costa Rica, Bulgarien sowie Bos- nien und Herzegowina, an das BIP gekoppelte Optionsscheine, die den Inhabern einen höheren Kupon gewähren, wenn das Bruttoinlands- produkt (BIP) einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. In jün- gerer Zeit haben Argentinien, Grie- chenland und die Ukraine ähnliche Instrumente ausgegeben. Bei der Umschuldung Grenadas im Jahr Das US-Investmenthaus GMO schlägt vor, die Bedingungen von Schwellenländeranleihen flexibler zu gestalten, um bei Zahlungsschwierigkeiten geordnetere Abläufe zu ermöglichen. Im Idealfall würde das die Situation für Schuldner und Gläubiger gleichermaßen verbessern. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff Die beiden Starökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff forderten, als sich die Coronakrise verschärfte, ein generelles Schulden- moratorium für alle Staaten mit Ausnahme derjenigen, die ein Triple-A- Rating besitzen. Staatsanleihen mit Optionen 172 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | SOVERE I GN CONT I NGENT BONDS FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH (REINHART), KATHY TARANTOLA (ROGOFF)

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