Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

war’s dann im Grunde auch schon. Heutzu- tage stehen uns Tausende neuer Datensätze zur Verfügung, durch die sich sozusagen eine Welt neuer Möglichkeiten eröffnet. Anhand dieser Daten können wir nicht nur bestehende Faktoren verbessern, sondern auch unseren Faktorsatz erweitern. Was bedeutet das konkret? Blitz: In Bezug auf den Value-Faktor arbei- ten wir zum Beispiel daran, immaterielle Vermögenswerte wie etwa eine besonders starke Markenbekanntheit stärker einzube- ziehen, bei Netzwerkplattformen kann es die Zahl der Nutzer sein, und bei einem Dienstleister werden wir stärker berücksich- tigen, über welche Patente oder besondere Technologien er eventuell verfügt. Denn all das trägt natürlich am Ende zum tatsäch- lichen Wert eines Unternehmens bei. Und wenn ich von einer Erweiterung unseres Faktorkontingents spreche, dann bezieht sich auch das vor allem auf die neuen Möglichkeiten, die wir vorhin unter dem Stichwort künstliche Intelligenz angespro- chen haben. Vereinfacht gesagt: Die Bran- che hat über weite Strecken im Wesentli- chen auf die vier wirklich relevanten Fak- toren Value, Momentum, Qualität und Low Risk gesetzt. Was im Grunde bedeutete, dass ein einzelner Faktor eventuell das ge- samte Multi-Faktor-Portfolio torpedieren konnte. Mit einem inzwischen mithilfe von Machine Learning und künstlicher Intel- ligenz erheblich erweiterten Satz an ins- gesamt vielleicht zehn wirklich relevanten Faktoren ergeben sich natürlich in der praktischen Anwendung ganz andere Mög- lichkeiten. Selbst wenn ein einzelner Faktor ausfällt, bleibt der mögliche Schaden sehr begrenzt. Ich glaube, das ist eine der wichtigsten Lehren, die wir aus dem, was manche immer noch als Quant-Krise bezeichnen, ziehen müssen. Heldmann: Wobei ich mich immer noch schwertue, von einer Krise des quantitativen Investments insgesamt zu sprechen. Ich bin eher auf der Seite von Professor Leippold, dass es allenfalls eine Value-Krise gewesen ist, die wir erlebt haben. Wir sollten zudem insofern ehrlich bleiben, als es auch den auf Value-Investments ausgerichteten Kollegen auf der fundamental arbeitenden Seite nicht besser ergangen ist, was über weite Strecken die erzielbaren Anlageergebnisse angeht. Vor diesem Hintergrund ist es natür- lich sinnvoll, neue Techniken wie künstliche Intelligenz, Machine Learning und Natural Language Processing zu installieren, wie wir es auch in unserem Unternehmen getan haben. Aber am Ende sollte man eines nicht vergessen: nämlich, dass der Markt im Endeffekt solche negativen Events in spe- zifischen Strategien regelrecht braucht, gerade auch, wenn diese sich über einen längeren Zeitraum von eventuell mehreren Jahren hinziehen. Er braucht sie, damit sich diese Risikoprämie, die wir im Grunde alle suchen, überhaupt aufbauen kann. Denn am Ende ist doch genau diese Risikoprämie die Kompensation dafür, dass ich als Investor ein zusätzliches Risiko akzeptiere und aus- halte. Nur deshalb funktioniert überhaupt eine Investmentstrategie wie Value. Anders gesagt: Fiele die Risikoprämie irgendwann weg, dann würde ein Value-Faktor einfach gar nicht mehr funktionieren. Vielen Dank für das Gespräch. HANS HEUSER Die Teilnehmer Professor Markus Leippold (links) lehrt seit 2016 als Professor für Financial Engineering an der Universität Zürich. Zu seinen Spezialgebieten gehören neben dem Risikomanagement und Investmentstrategien auch Themen wie künstliche Intelligenz, Machine Learning und Natural Language Processing. Der von ihm wesentlich mitentwickelte Algorithmus Climate Bird analysiert Texte mithilfe eines sogenannten Language-Modells in Bezug auf deren Aussagewert hinsichtlich klimarelevanter Fragen. Dr. Michael Heldmann (2. von links) arbeitet seit 2007 für Allianz Global Investors und verantwortet als Chief Investment Officer die Investmententscheidungen im Bereich Systematic Equity des Unternehmens. Heldmann ist promovierter Physiker und war vor seiner Zeit bei AGI für die Europäische Organisation für Kernforschung CERN in Genf tätig. Dr. Jan Anton van Zanten (Mitte) ist seit April 2020 als SDG Strategist bei Robeco verantwortlich für die Integration der von den Vereinten Nationen entwickelten Sustainable Development Goals in die Investmentstrategien des Asset Managers. Dr. David Blitz (2. von rechts) verantwortet als Head of Quantitative Equity Research die quantitativen Strategien von Robeco, in denen die Niederländer inzwischen rund 80 Mil- liarden Euro verwalten. Blitz trat bereits vor 27 Jahren in die Dienste des Investmenthauses und hat den von ihm betreuten Bereich seit den Anfängen wesentlich mitgestaltet. Dr. Andreas Gintschel (rechts) ist Investment Director beim Münchner Family Office Perpetual Investors, das sich auf die Betreuung großer Familienvermögen konzentriert. T H E O R I E & P R A X I S | QUANT- ROUNDTAB L E 154 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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