Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

gie durchforsten, so bleiben vielleicht 500 übrig, die zu dem jeweiligen Faktor passen würden. Wenn wir davon 50 oder sogar 100 Werte streichen müssen, weil die dahinter stehenden Unternehmen vielleicht einen zu schlechten CO 2 -Abdruck aufweisen oder im Widerspruch zu bestimmten SDG-Zielen stehen, so bleibt eine immer noch ausrei- chend große Zahl an Investments übrig, sodass das Faktor-Exposure des Portfolios erhalten bleibt, gleichzeitig aber das Nach- haltigkeitsziel berücksichtigt werden kann. Das ermöglicht zudem, in einem individu- ellen Mandat die spezifischen Nachhaltig- keitsanforderungen eines institutionellen Investors sehr gezielt zu berücksichtigen. Inwiefern kann ein Thema wie künstliche Intelligenz dabei helfen, notwendige Anpas- sungen quantitativer Prozesse umzusetzen? Gibt es hier echte Fortschritte? Leippold: Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und von einer kleinen Revo- lution sprechen, die sich in der jüngeren Vergangenheit durch die gesamte Entwick- lung im Deep-Learning-Bereich, also dem Einsatz sogenannter neuronaler Netze, voll- zogen hat. Und die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen natürlich auch in ent- sprechend praktische Anwendungen und nicht zuletzt auch ins Asset Management ein. Ein Gebiet, mit dem ich mich speziell auseinandergesetzt habe, ist das sogenannte Natural Language Processing. Dabei geht es nicht mehr nur um die Analyse von Zahlen- daten oder einzelnen Wörtern, sondern um das Erkennen und Verarbeiten komplexer Texte. Hier hat es vor rund drei Jahren einen wirklichen Durchbruch in der For- schung gegeben, der inzwischen natürlich auch Einzug in das Thema Finance gefun- den hat. Im Grunde eröffnet sich damit gerade für quantitative Investmentansätze ein immenses Feld, um die Informationen entsprechend analysierter Texte in die Mo- delle zu integrieren. Aber sind Begriffe wie Revolution und Durchbruch nicht ein wenig übertrieben? Leippold: Das würde ich nicht sagen. Man sollte nicht verkennen, dass ausreichend belegte Studien gezeigt haben, dass über 80 Prozent der verfügbaren Informationen nicht über Zahlen, sondern über zusammen- hängende Texte transportiert werden. Wer über entsprechende Methoden verfügt, um diesen Text sinnvoll zu analysieren und die gewonnenen Informationen in seine Model- le zu integrieren, ist in der Lage, durchaus erfolgversprechende Investitionsansätze zu kreieren. Haben Sie ein Beispiel, was im Vergleich mit vor drei Jahren heute möglich ist? Leippold: Das auch in dieser Diskussion an- gesprochene Thema der Sentiment-Analyse ist sicher ein gutes Beispiel. Den Versuch, etwa aus den Telefonkonferenzen zur Gewinnentwicklung eines Unternehmens etwas herauszufiltern, was als positive oder negative Information auf die künftige Er- tragsentwicklung des Unternehmens hin- weist, gibt es in der Forschung schon seit geraumer Zeit. Meist basierten solche Ana- lysen aber auf bestimmten Keywords oder Schlüsselwörtern. Und die Genauigkeit die- ser Methoden lag bei vielleicht 60 Prozent, was Akademiker als mehr oder weniger zufälliges Ergebnis bezeichnen würden. Mit den heutigen Methoden erreicht man eine Genauigkeit von bis zu 96 Prozent. Das würde ich schon als einen enormen Fort- schritt bezeichnen. Blitz: Was die Fortschritte in dem gern unter Big Data subsumierten Bereich betrifft, kann ich mich aus der Perspektive des prak- tischen Anwenders nur dem Begriff Revo- lution anschließen. Über weite Strecken hat sich ein Ansatz wie das quantitative Invest- ment im Wesentlichen auf die Verwendung von Informationen beschränkt, die in erster Linie aus den verfügbaren Finanzberichten von Unternehmen stammten. Zu den daraus gewonnenen Daten – seien es Buchwerte, die Gewinnentwicklung oder Cashflow-Da- ten eines Unternehmens – kamen noch die Daten aus Analystenreports hinzu, aber das » Heute verfügen wir über eine schier unbe- grenzte Rechenkapazität und einen regelrechten Überfluss an Daten. « Prof. Dr. Markus Leippold, Universität Zürich T H E O R I E & P R A X I S | QUANT- ROUNDTAB L E N o. 4/2022 | www.institutional-money.com 153 FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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