Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

Heldmann: Vollkommen richtig. Das wirft das zusätzliche Problem auf, dass man, selbst wenn man ein optimales Timing hin- bekommen würde, im Grunde keine Chance hätte, die dafür notwendigen Transaktions- kosten zu amortisieren. Markus Leippold: All das sind Gründe, warum es mir aus der rein akademischen Perspek- tive schwerfällt, überhaupt von einer Krise des quantitativen Investments zu sprechen. Vor dem Hintergrund der eingangs erwähn- ten Performanceentwicklung speziell des Value-Faktors kann ich mir durchaus vor- stellen, was damit gemeint ist. Aber unter dem Aspekt, dass man heutzutage quantita- tive Methoden braucht, um sinnvolle Invest- mentstrategien zu konzipieren, erscheint es mir nicht angebracht, gleich von einer Krise zu sprechen, selbst wenn ein bestimmter Faktor einmal über einen längeren Zeitraum nicht das erwartete Ergebnis bringt. Weil die Finanzmärkte sich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts verändert und weiterentwickelt haben? Leippold: Als Harry Markowitz sein Papier über die Portfoliotheorie verfasst hat, gab es zum einen nur wenige Daten, zum anderen waren die Rechenkapazitäten extrem be- grenzt. Heute verfügen wir über eine schier unbegrenzte Rechenkapazität und einen regelrechten Überfluss an Daten. Um als Fondsmanager seinen Weg durch diesen Dschungel zu finden, ist man im Prinzip auf quantitative Ansätze angewiesen. Daher sind wir weit davon entfernt, von einer Kri- se bei quantitativen Methoden zu sprechen, im Gegenteil: Sie werden immer interessan- ter. Wirklich relevant ist meines Erachtens allenfalls die Frage, welche Faktoren in Zukunft eine sinnvolle Rolle für erfolg- reiches Investment spielen werden. Andreas Gintschel: Aus der Sicht eines Family Offices kann ich das eigentlich nur unter- mauern. Auch wir hätten uns sicher ein bes- seres Ergebnis für das Value-Segment der von uns betreuten Portfolios während der Schwächephase dieses Faktors gewünscht. Wir betrachten quantitatives Investieren aber sozusagen in einem größeren Zusam- menhang. Wir benutzen Faktoren zum einen sowohl als Anlagestil, indem wir entspre- chende Produkte auswählen, die wir in unseren Portfolios einsetzen. Mindestens genauso wichtig aber ist für uns eine gewis- sermaßen übergeordnete Frage, die wir schon viel früher zu beantworten suchen. Was meinen Sie mit der „Beantwortung einer übergeordneten Frage“? Gintschel: Schon in die Entwicklung neuer wie auch die Weiterentwicklung bestehen- der Strategien versuchen wir einzubeziehen, wie hoch das Exposure zu einzelnen Fakto- ren innerhalb des Gesamtportfolios tatsäch- lich ist beziehungsweise wie hoch es unse- rer Auffassung nach sein sollte. Denn das gesamte Portfolio enthält am Ende nicht nur quantitativ gemanagte Elemente, wir sind eben auch stark in Assetklassen wie Private Equity und andere illiquide Positionen investiert. Insgesamt versuchen wir so, ein entsprechend der verfolgten Strategie ange- messen ausgewogenes Faktor-Exposure zu erzeugen. Vor diesem Hintergrund bleibt für uns der Value-Bestandteil wichtig, auch wenn er vielleicht für sich genommen für eine gewisse Zeit nicht so funktioniert wie erwartet. Denn im Gesamtkontext erfüllt er dennoch, was wir davon erwarten, nämlich eine Art Ausgleich zu bilden für andere Positionen oder Faktoren, die einen dezi- dierten Growth-Bias aufweisen. Aber noch einmal zum Aspekt Vorhersag- barkeit. Lassen sich zumindest bestimmte Muster erkennen, die auf die Dauer einer bestimmten Marktphase oder einen Wechsel von einer Growth- hin zu einer Value-Phase hindeuten? Blitz: Ein simpler Blick in die Geschichte legt natürlich nahe, dass wir diesen zuvor ausgeprägten Growth-Zyklus beendet haben und speziell in Bezug auf ein wertorien- tiertes Investment wieder in eine bessere Zukunft blicken können. Das ist aber nur » Ich tue mich schwer, von einer Krise des quantitativen Investments insgesamt zu sprechen. « Dr. Michael Heldmann, CIO Systematic Equity, Allianz Global Investors T H E O R I E & P R A X I S | QUANT- ROUNDTAB L E 150 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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