Institutional Money, Ausgabe 4 | 2022

S chon vor Jahrzehnten hat die Kapitalmarktforschung den Zusammenhang zwischen der Steigung der Zinsstruk- turkurve und der künftigen Wirtschafts- tätigkeit sowie der Entwicklung des Aktienmarktes analysiert und bestätigt. Heute gibt es dafür viele empirische Be- lege. Zwar verläuft die Zinsstrukturkur- ve meist steigend, sodass Staatsanleihen mit langer Laufzeit höhere jährliche Ren- diten versprechen als solche mit kurzer Laufzeit. Allerdings ist später im Konjunk- turzyklus regelmäßig eine Abflachung zu beobachten, wenn die Zentralbanken die Leitzinsen anheben, um Wachstum und Inflation zu dämpfen. Und damit steigen die Renditen von Papieren mit kurzer Laufzeit an, während die Renditen am langen Ende fallen, um die gedämpften Erwartungen wi- derzuspiegeln. Dies ist die Erklärung dafür, dass die Zinsstrukturkurve Rückschlüsse über die vom Markt erwarteten geldpoliti- schen Maßnahmen zulässt, die wiederum auch mit Erwartungen zum künftigen Kon- junkturzyklus verbunden sind (ausführlicher dazu siehe Institutional Money 02/2022, Rezessionsindikatoren, S. 140–144). Klassischer Indikator Die bisherige Literatur hat die struktu- rellen Zusammenhänge zwischen Konjunk- turzyklen, Zinssätzen und Aktienmarkt untersucht. Eine besonders praxisrelevante Erkenntnis machte dabei der kanadische Kapitalmarktforscher Campbell Harvey. Er definierte eine Inversion des Term Spread der Renditen zehnjähriger US Treasury Notes und dreimonatiger Treasury Bills als Rezessionsindikator (siehe Grafik „Drohen- de Rezession“) . Bisher weist dieses Signal einen perfek- ten Track Record auf. Doch Harvey selbst hat bereits argumentiert, dass die Erfolgs- serie eines Tages enden könnte. Denn heute steht der Indikator viel stärker als zu frühe- ren Zeiten im Fokus der Marktteilnehmer, sodass sich der Zusammenhang rückkop- pelnd auf die eigentliche Entwicklung aus- wirken könnte. Zum Beispiel könnten bei Vorliegen inverser Zinsen einige Unterneh- men vorsichtshalber ihre Investitionen redu- zieren oder beim Einstellen von neuem Per- sonal bremsen und damit kausal zu einer Verlangsamung der Wirtschaftsdynamik beitragen. Das würde zwar die Aussagekraft des Signals verringern, wäre aber aus Per- spektive einer möglichst stabilen Wirt- schaftsentwicklung durchaus wünschens- wert. Denn wird eine potenzielle künftige Rezession antizipiert, kann das dazu führen, Die Steigung der Zinsstrukturkurve wird häufig als Indikator für die zu erwartende Entwicklung von Wirtschaft und Aktienmarkt verwendet. Nun zeigt eine aktuelle Studie, dass die Volatilität der Kurve ebenfalls relevant ist. Drohende Rezession Die Inversion der US-Zinsstruktur sorgt für düstere Aussichten. Im Oktober invertierten die Renditen zehnjähriger US Treasury Notes zum ersten Mal seit dem Jahr 2019 gegenüber Drei-Monats-Treasury-Bills. Bleibt das für ein volles Quartal der Fall, ist laut US-Kapitalmarktforscher Campbell Harvey ein Rezessionssignal gegeben. In der Vergangenheit hatte das eine 100-prozentige Trefferquote. In acht von acht Fällen folgte tatsächlich eine Rezession. Hinzu kommt, dass der alternative Indikator, die Differenz von Zwei- zu Zehnjahresrenditen, schon seit einigen Monaten das gleiche Signal gibt. Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis 2022 2021 2020 2019 2018 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 Renditedifferenz in Prozent » Mehr Volatilität in der Zinsstrukturkurve bedeutet auch mehr Volatilität am Aktienmarkt. « Athanasios Triantafyllou, Associate Professor in Finance, IESEG School of Management Warnsignal von der Zinskurve 124 N o. 4/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | Z I NS S TRUKTURKURVE FOTO: © IESEG SCHOOL OF MANAGEMENT

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