Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

Z wei der bekanntesten Maß- stäbe, um die relative Attraktivität von Aktienbe- wertungen im langfristigen Kontext einzuschätzen, sind das CAPE nach Professor Robert Shiller und das Verhältnis von Marktkapitalisierung zu Bruttoinlandsprodukt. Letzteres wurde vor allem durch den im Jahr 2001 ver- öffentlichten Fortune-Artikel „Warren Buffett On The Stock Market“ populär. Deshalb wird die unter Kapitalmarktprak- tikern beliebte Ratio, die auf langfristige Über- und Unterbewertungen am Aktien- markt hinweist, auch „Buffett-Indikator“ genannt. Einfaches Makro-Maß Der Indikator stellt ein einfaches Makro- Maß dar. Wenn der Preis aller Aktien als Anspruch auf künftige Gewinne steigt, ohne dass dabei auch die Wirtschaftsleistung eines Landes entsprechend zunimmt, sinkt die für die Zukunft erwartete Ge- winnrendite. Das macht Aktienanla- gen unter sonst gleichen Vorausset- zungen weniger attraktiv. Die Kenn- zahl bringt also zwei maximal aggre- gierte Werte in Relation, die sich kaum dauerhaft entkoppeln können. Dazu müssten die Renditen am Aktienmarkt beständig das BIP- Wachstum übertreffen, wodurch die Ratio immer weiter ansteigen würde. „Das wird nicht passieren“, so Buf- fett im damaligen Artikel. Die Kennzahl ist sehr einfach zu berechnen, was ihrem Nutzen aber keinen Abbruch tut. Auf Makro- ebene muss die Quantifizierung laut Warren Buffett keineswegs kompli- ziert sein. Abseits von gewissen Ein- schränkungen, die eine derart simple Ratio mit sich bringt, bezeichnete er sie als „wahrscheinlich besten ein- zelnen Maßstab dafür, wo die Bewertungen zu einem bestimmten Zeitpunkt stehen.“ Entscheidender Mehrwert Doch warum sollten Marktkapitalisierung und BIP überhaupt ins Verhältnis zueinan- der gesetzt werden? Erstere ist das Aggregat des heutigen Werts der zukünftigen Erträge aller börsennotierten Unternehmen eines Landes, Zweiteres der Wert aller im jewei- ligen Land erstellten Produkte und Dienst- leistungen. Es gibt zwischen diesen beiden Werten drei wesentliche Unterschiede, wie Navin Vohra im Artikel „The Buffett Indi- cator Revisited“ für das CFA Institute aus- führt. Erstens ist das BIP meist auf ein Jahr bezogen, während die Marktkapitalisierung „ins Unendliche“ blickt. Zweitens finden nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten in börsennotierten Firmen statt. Und drittens ist das BIP ein Gesamtmaß für Löhne und Gehälter, Mieten und Gewinne, die im Wettbewerb um ihren Teil vom Kuchen stehen und sich deshalb im Zeitablauf zy- klisch verhalten. Letzteres kann dabei entscheidend sein. Denn die Marktkapitalisierung hängt in erster Linie von den Gewinnen ab. Waren diese zuletzt hoch, folgt in der Regel eine Phase niedrigerer Gewinne und umgekehrt. Indem also die Marktkapitalisierung ins Verhältnis zum BIP gesetzt wird, kann der resultierende Verlauf auf zyklisch bedingte hohe oder niedrige Bewertungen hinweisen. Und das insbesondere auch dann, wenn klas- sische Kennzahlen wie das Kurs- Gewinn-Verhältnis eine moderate Bewertung anzeigen. Der Buffett- Indikator hilft Anlegern also dabei, über den Zyklus hinaus zu denken. Große Unterschiede Wie bereits angedeutet, gibt es für die Nutzung des Indikators aber auch Einschränkungen. Insbesonde- re fehlt ein theoretisch hergeleitetes Warren Buffett versteht es, komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Ein gutes Beispiel ist sein vielleicht bester Einzelindikator für die langfristige Aktienmarktentwicklung. In den USA hat er sich bewährt, nun wurde seine internationale Evidenz untersucht. Aggregierter Buffett-Indikator Ratio von Marktkapitalisierung zu BIP über 14 Länder Die Grafik zeigt den gleichgewichteten Durchschnitt des Buffett-Indi- kators für die 14 untersuchten Länder. Dabei wird deutlich, dass die Ratio im Zeitablauf recht unterschiedliche absolute Werte verzeichnete. Anfangs waren die Finanzmärkte in vielen Ländern noch nicht so entwickelt. Seit den 1990er-Jahren stiegen die Werte deutlich und ließen verdächtige Spitzenwerte in der Nähe der Aktienmarkthochs entstehen. Quelle: Swinkels, L. / Umlauft, T. S. (2022), The Buffett Indicator: International Evidence, S. 8 0,00 0,25 0,50 0,75 1,00 Marktkapitalisierung / BIP 2010 2000 2020 1990 1980 » Der Buffett-Indikator generiert verlässliche Prognosen für viele westliche Länder. « Laurens Swinkels, Erasmus Universiteit Rotterdam, Robeco Markteinschätzung auf einen Blick 98 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | BUF F E T T- I ND I KATOR FOTO: © ROBECO, MEGAFLOPP | STOCK.ADOBE.COM

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