Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

wurden. „Die Situation verschlimmerte sich, weil die Politik exogene Effekte wie die Ölembargos und den Vietnamkrieg und nicht eine verfehlte Geldpolitik für den Aus- löser der Inflation hielt.“ Krieg und Wirt- schaftssanktionen hätten die Inflation zwar durchaus weiter angetrieben, sie seien aber nicht die Ursache gewesen, umreißt Higgins ein Szenario, das dieser Tage unangenehm vertraut klingt. Zweifel an Zinspolitik Bemerkenswerterweise streut die eingangs erwähnte MMT-Ökonomin Stephanie Kelton an dieser Stelle Zwei- fel und warnt, „dass niemand wirklich weiß, wie Geldpolitik und Inflation zu- sammenwirken“. „Was, wenn wir es komplett falsch verstehen und steigende Zinsen Inflation fördern, statt sie zu dämp- fen? Schlicht, weil sie für Unternehmen erhöhte Refinanzierungskosten bedeuten, die letzen Endes an die Konsumenten über- wälzt werden?“ Doch nicht nur die ökonomische Avant- garde äußert Zweifel an der Sinnhaftigkeit entschlossener Zinsschritte. So hat sich zu- letzt der ehemalige Deputy Governor der Central Bank of Ireland und aktuelle Chef- ökonom der Schweizer Privatbank EFG, Stefan Gerlach, angesichts einer Reihe von Notenbankern besorgt gezeigt, „die sich auf die Brust trommeln“ und sich „anscheinend in einem Rennen um die Zinsanhebungen befinden“. Offenbar habe die Kritik an den Zentralbanken, wonach diese die Teuerung nicht in den Griff bekämen und „sich hoff- nungslos ‚behind the curve‘ befinden“, einen Nerv getroffen. Das könne problema- tisch werden. Denn die Volcker-Doktrin sei zwar vor 40 Jahren eine gute Strategie ge- wesen, „aber die Zeiten haben sich geän- dert“, so Gerlach. Nicht alle Marktbeobachter teilen hinge- gen die Einschätzung, wonach Powell ernst- haft die Inflation bekämpfen will. So war Paul Franke von Seeking Alpha Mitte August 2022 – also noch vor Powells Jack- son-Hole-Rede – davon überzeugt, dass es die Fed mit der Inflationsbekämpfung in Wirklichkeit nicht ernst meint. Als Indiz für Powells Unentschlossenheit präsentierte er einen Chart, der die Differenz zischen CPI und effektivem Leitzins in den USA auf- zeigt (siehe Chart „Wie ernst meint es die Fed wirklich?“) . Demnach sei die Kluft zwischen Teuerung und Zins höher als je- mals zuvor in den vergangenen 70 Jahren und würde somit sogar die Ungleichge- wichte während der Great Inflation in den Schatten stellen. Meinte Powell es mit der Inflationsbe- kämpfung ernst, müsste er laut Franke viel stärker in das Zinsgefüge eingreifen, als er das bislang signalisiert hat. Franke führt da- bei die Taylor Rule ins Treffen, derzufolge die Leitzinsen bereits im Sommer bei sie- ben Prozent hätten liegen müssen. Im Gegensatz dazu erwarten Analysten laut Bloomberg im Median für das vierte Quartal 2022 einen Zinssatz von 3,5 Pro- zent, dann nochmal 25 Basispunkte im ers- ten Quartal 2023 – womit aber der Höhe- punkt des Leitzinsniveaus schon erreicht sein sollte. Nur vereinzelt werden Leitzinsen von bis zu fünf Prozent in den Raum ge- stellt. Powell selbst hat in seiner Rede von internen Juni-Projektionen gesprochen, die per Ende 2023 US-Leitzinsen von „knapp unter vier Prozent“ in Aussicht stellen. Abseits der Zinsen weist Franke auch darauf hin, dass Powell „Inflation und Kon- junktur über Nacht drosseln könnte, würde er beginnen, den Berg an Treasuries zu ver- kaufen, die seit 2008 im Rahmen von Quantitative Easing aufgetürmt wurden“. Basierend darauf, dass „2022 so gut wie nichts an der Fed-Bilanz geändert wurde, würde ich sagen, dass die Fed es mit einer Bekämpfung der Inflation nicht einmal annähernd ernst meint“, so Franke. Stattdes- sen versuche die Bank über die Teuerung einen schleichenden Default der US-Schul- den abzuwickeln. Zu aggressiv? Der Argumentation, dass Powell eine zu weiche Linie fährt, kann wiederum der pro- minente Wharton-Professor Jeremy Siegel nicht folgen – ganz im Gegenteil. Er warnt davor, dass Powell in seinen Aktionen über- schießen könnte, hätte die „Inflation in der Realität doch schon ihren Höhepunkt erreicht“. Die aktuell publizierten statisti- schen Daten, an denen sich die Fed orien- tiert, bilden jedoch immer die Vergangen- heit ab. Geht man davon aus, dass Zins- » Die ›Great Inflation‹ wurde von einer fehlgeleiteten Politik der Federal Reserve ausgelöst. « Mark J. Higgins, CFA Institute Wie ernst meint es die Fed wirklich? Die hohe Differenz zwischen Inflation und Leitzins in den USA lässt manche an Powells Entschlossenheit zweifeln. Befürworter aggressiver Zinsschritte in den USA weisen auf die historisch hohe Diskrepanz zwischen den Leitzinsen und dem Konsumentenpreisindex (CPI) hin. Gemäß der Taylor Rule hätten die Leitzinsen bereits bei sieben Prozent liegen müssen. Andere Stimmen halten 3,5 Prozent für absolut ausreichend. Quelle: Seeking Alpha -8 % 0 % 8 % 16 % 24 % CPI USA Effektiver Leitzins USA 2010 2000 2020 1990 1980 1970 1960 70 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | I NF LAT I ON FOTO: © CFA INSTITUTE

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