Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

sage man zugrunde legt, steht da immer noch ein Pluszeichen vor der Prognose, das ist schon richtig. Eine solche Einschätzung, die sicher häufig von einer gewissen Hoff- nung getragen ist, teilen wir nicht, im Gegenteil. Wir gehen davon aus, dass wir uns in Europa auf einen Rückgang der Wirt- schaftsentwicklung um rund ein Prozent werden einstellen müssen. Mit einer wieder etwas stärkeren Dynamik wird man unseren Erwartungen nach erst wieder im weiteren Verlauf des kommenden Jahres rechnen dürfen. Wobei auch das in die aktuellen Erwartungen noch nicht eingepreist ist. Einige Marktteilnehmer scheinen da durch- aus optimistischer zu sein. Nicht nur im August, selbst nach der deutlichen Zinserhö- hung durch die EZB Anfang September sind die Aktienkurse zum Teil stark gestiegen. Rainer Matthes: Man sollte aber nicht ver- kennen, dass auf solche zwischenzeitlichen Erholungsphasen an den Märkten früher oder später immer wieder anschließende starke Korrekturphasen folgten. Von daher spiegelt die eine oder andere Markterho- lung, die wir erlebt haben, aus meiner Sicht eher so etwas wie eine vorübergehende Er- leichterung wider in der Erwartung, dass der Kulminationspunkt bei der Inflation erreicht ist. Daraus speist sich zum Teil die Hoff- nung, dass am Ende vielleicht alles gar nicht so schlimm wird. Das wird sich aber unserer Erwartung nach als Fehleinschät- zung herausstellen. Daher entspricht die zeitweise positive Entwicklung an den Aktienmärkten eher dem Bild, das oft als Bärenmarktrallye beschrieben wird. Darf man daraus schließen, dass es im schlimmsten Fall sogar noch zu so etwas wie einem perfekten Sturm an den Märkten kommen kann? Rainer Matthes: Man sollte sich zumindest nicht zu sehr von einer kurzfristig guten Entwicklung an den Märkten leiten lassen oder solche zwischenzeitlichen Kurserho- lungen einfach in die Zukunft fortschreiben. Denn auch wenn sich aktuell natürlich viele Diskussionen um die Frage drehen, wie es mit der Lieferung von Erdgas tatsächlich weitergehen wird und ob wir unsere Ener- gieversorgung im Winter für alle Bereiche unserer Gesellschaft ausreichend werden aufrechterhalten können: In den Köpfen vieler Menschen ist zum einen die mögliche Tragweite der gesamten Entwicklung noch nicht angekommen, geschweige denn, wie das eventuell ihren Geldbeutel konkret be- lasten könnte. Am Ende wissen wir eben noch gar nicht, ob es nicht vielleicht doch zu einer Rationierung kommen wird. Kurz- um: Es wird zwar vielfach über schlechte Nachrichten diskutiert, vieles an möglichen Konsequenzen daraus ist aber noch nicht in die Kurse eingepreist. Und das lässt mich eher pessimistisch in die Zukunft blicken. Wenn man den Swap-Märkten in Bezug auf die Inflationserwartungen Glauben schenkt, könnten sich die Zinsen aber bereits im Lauf des kommenden Jahres wieder in Richtung der Zielmarke der Notenbanken bewegen. Eine realistische Einschätzung? Rainer Matthes: Das halte ich für so gut wie ausgeschlossen. Auch wir gehen zwar davon aus, dass wir uns nahe dem Höhepunkt der Inflationsrate befinden. Deshalb wird es im kommenden Jahr zu deutlichen Basiseffek- ten kommen, und die Preissteigerungsraten, die dieses Jahr eine Größenordnung von et- wa acht Prozent in den USA und in Europa erreichen, werden deutlich sinken. Aber wir müssen uns meiner Einschätzung nach darauf einstellen, dass wir es auch im kommenden Jahr noch mit vergleichsweise » Auf zwischenzeitliche Erholungsphasen an den Märkten folgten früher oder später immer wieder anschließende starke Korrekturphasen. « Dr. Rainer Matthes, Chefvolkswirt Metzler AM 58 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | DR . RA I NER MAT THE S | ME TZL ER AS S E T MANAGEMENT FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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