Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

Robert Shiller: Forscher, Mahner und Prophet Scharfer Kritiker der Markteffizienz-Hypothese und wegweisender Analyst der Immobilienmärkte R obert Shiller ist fraglos einer der ein- flussreichsten Wirtschaftswissenschaft- ler unserer Zeit und nimmt sowohl in Bezug auf die Breite seiner Forschungen als auch in Bezug auf deren praktischen und politischen Einfluss eine Ausnahme- stellung ein. Nachdem er sich in den 70er-Jahren noch hauptsächlich mit Aspek- ten der Zinstheorie beschäftigt hatte, wandte er sich in den frühen 80ern zu- nehmend den Aktienmärkten zu. Dabei beschäftigte er sich insbesondere mit empirischen Fragen rund um die Efficient Market Hypothesis (EMH), die zu dieser Zeit zunehmend die vorherrschende Lehr- meinung der Kapitalmarkttheorie bildete. Die Anhänger dieser Hypothese – allen voran Eugene Fama – sahen die Entwick- lung der Aktienmärkte als eine rationale Prognose zukünftiger Gewinn- und Divi- dendenentwicklung. Nobelpreis Dabei nutzte er aus der Erwartungs- hypothese der Zinsstruktur abgeleitete Tech- niken, um zu untersuchen, ob die Kursent- wicklung am Aktienmarkt tatsächlich eine informationseffiziente Schätzung der zu- künftigen Gewinnentwicklung von Unter- nehmen abbildet. Mittels innovativer Me- thoden gelang es Shiller, zu belegen, dass Aktienmärkte im Vergleich zu Gewinnen oder Dividenden eine viel zu hohe Volati- lität aufweisen und dass diese enorme Excess Volatility im klaren Widerspruch zur Hypothese informationseffizienter Märk- te steht. Shiller lieferte damit erstmals einen stichhaltigen globalen ökonometrischen Beleg für die übergreifende Validität der Kritik an der EMH, die vor allem von Ver- tretern der Behavioral Finance erhoben wurde und sich bis dahin auf eine Samm- lung von Anomalien beschränkt hatte. Es waren diese bahnbrechenden Ergebnisse, die ihm 2013 gemeinsam mit Fama und Lars Peter Hansen den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften einbrachten. Irrationalität Shillers bahnbrechender Beitrag zur Theorie und Praxis der Kapitalmärkte be- schränkt sich jedoch nicht auf seine Arbeiten zur Ka- pitalmarkteffizienz. Einer- seits lieferte Shiller und 2000 mit seinem populär- wissenschaftlichen Buch „Irrational Exuberance“ die wohl treffendste und einflussreichste Analyse der Tech-Blase, anderer- seits wandte er sich zu- nehmend anderen The- men, insbesondere dem Immobilienmarkt, zu. Der von ihm geschaffene Case-Shiller Index wurde zum bedeutendsten Indi- kator des amerikanischen Immobilienmarktes und lie- ferte ihm zudem noch die Basis seiner Analyse der US-Immobilienblase der frü- hen 2000er-Jahre. Shiller wurde quasi nebenbei auch noch zu einem frühen Pro- pheten der Subprime-Krise. So auch in unserem ersten Interview für Institutional Money Anfang 2007. Keynesianische Ideen Gemeinsam mit George Akerlof ent- wickelte er in den letzten Jahren keynesia- nische Ideen zu Marktversagen weiter. In „Animal Spirits“ (2010) und „Phishing for Phools“ (2016) zeigten sie, welch weitrei- chende ordnungspolitische Konsequenzen sich aus den verschiedenen in der Realität beobachtbaren eklatanten Abweichungen vom Ideal rationaler, effizienter Märkte er- geben und welche Risiken das Ignorieren dieser Probleme birgt. Shillers und Aker- lofs Kritik ist dabei überaus fundamental, denn sie zeigen auf, dass freie Märkte regelmäßig keine tatsächlich wohlfahrts- optimalen Ergebnisse hervorbringen. Sei es, weil eigentlich irrationale Präferenzen – wie beispielsweise Zuckersucht – die Wirtschaftssubjekte dazu motivieren, tat- sächlich suboptimale Ergebnisse – unge- sunde Ernährung – anzustreben. Oder sei es, weil freie und unregulierte Märkte aus Sicht der Unternehmen oftmals Anreize bieten, Konsumenten zu täuschen und zu manipulieren. Die in „Phishing for Phools“ geäußerte Kritik am naiven Glauben an das Funktionieren von freien Märkten ist überaus grundlegend und wird die Diskus- sion rund um Themen der Regulierung maßgeblich beeinflussen. Marktversagen Im Rahmen ihrer Analyse des Marktver- sagens schufen Shiller und Akerlof ganz nebenbei noch einen neuen Zweig der Wirtschaftswissenschaft, der sich mit den Auswirkungen von Narrativen auf die Entscheidungen von Marktteilnehmern be- schäftigt. Und Shiller setzte diesem neuen Forschungszweig mit seinem jüngsten Buch „Narrative Economics“ (2019) auch gleich ein erstes Denkmal. Er untersucht, auf welche Weise Narrative das Verhalten von Investoren, Konsumenten und Unter- nehmen beeinflussen, wie sie sich verbrei- ten und welche Aspekte dafür verantwort- lich sind, dass Narrative mehr oder weni- ger Wirksamkeit oder Langlebigkeit errei- chen. Es ist davon auszugehen, dass die- ser Forschungszweig in Zeiten von Krypto- währungen, Meme Stocks und Social Media ein stark wachsendes Interesse auf sich ziehen wird. Shiller hätte damit seiner Reputation als Erfinder neuer wissenschaft- licher Methoden ein weiteres Glanzlicht hinzugefügt. FERDINAND HAAS Robert Shiller vor der Schiefertafel in seinem Homeoffice. Der US-Ökonom lebt und arbeitet in New Haven im US-Bundesstaat Connecticut. 44 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ROB ERT J . SH I L L ER | YAL E FOTO: © ROBERT A. LISAK

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