Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

scheiden nicht auf der Basis von mathema- tischen Gleichungen und wissenschaftlich fundierten Diagrammen. Das hindert sie aber keineswegs daran, miteinander zu kommunizieren. Die Folge dessen ist, dass sich bestimmte Narrative herausbilden, dass Geschichten entstehen, die sich unter Umständen einem Virus ähnlich in rasender Geschwindigkeit verbreiten. Mit welcher Konsequenz? Robert Shiller: Das kommt im Grunde auf den Tenor der jeweiligen Geschichte an. Je nach Narrativ kann das in der Folge zu stark steigenden, im negativen Fall zu stark sin- kenden Kursen am Kapitalmarkt führen. Geben Sie uns ein Beispiel? Robert Shiller: Eine wesentliche Ursache für die besonders starken Kursrückgänge im Zuge der Great Depression oder auch wäh- rend der Finanzkrise von 2008 scheint zum Beispiel nach unseren Erkenntnissen die da- mals aufgekommene Angst der Menschen vor einer zunehmenden Roboterisierung beziehungsweise Automatisierung gewesen zu sein. Viele fürchteten offenbar, dass sie bei steigender Arbeitslosigkeit keinen Job mehr finden würden, weil ihre Arbeit in zu- nehmendem Maße von Robotern übernom- men beziehungsweise durch andere Formen der Automatisierung ersetzt werden würde. Anleger haben darauf reagiert und ihr Geld sozusagen erst einmal gesichert, indem sie es aus den Märkten abgezogen haben. Andererseits zeigt doch gerade die Ent- wicklung nach dem Ausbruch der Corona- Pandemie, dass eine weithin als negativ wahrgenommene Entwicklung nicht unbe- dingt automatisch zu einem dauerhaften Rückgang der Kurse oder gar einem Crash führen muss. Robert Shiller: Was die These, dass es die Narrative sind, die die Kurse treiben, aus meiner Sicht eigentlich nur stützt. Wobei auch ich natürlich nur mutmaßen kann, wel- che Geschichten die Menschen seit dem Auftreten von Corona untereinander aus- getauscht haben. Vielleicht hat als Narrativ ausgereicht, dass Nachbarn und Freunde versucht haben durchzuhalten und bereit waren, sich gegenseitig zu unterstützen. Da- raus ist dann eine gewisse Zuversicht er- wachsen, die nach einem kurzen Rücksetzer im März 2020 die Kurse weiter nach oben getragen hat. Wer wollte das im Nachhinein schon eindeutig beurteilen? Darauf darf man allerdings in Bezug auf die aktuelle Entwicklung nicht hoffen. Was macht Sie so sicher? Robert Shiller: Eben weil wir uns, wie ein- gangs erwähnt, in einer historisch einmali- gen Situation befinden, die so gut wie kei- nen Raum für ein positiv besetztes Narrativ bietet. Im Unterschied zu anderen Phasen kommen nämlich zwei wichtige Parameter zusammen: erstens Angst, konkret die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen einer Rezession, und zweitens der Umstand, dass wir es mit einer Art Multikrise zu tun haben. Corona ist noch nicht ausgestanden, die Klimakrise schwelt nach wie vor, und als ob das nicht schon genug wäre, kommen auch noch ein Krieg in der Ukraine und das in diesem Zusammenhang aufgetauchte Narrativ von einem drohenden Dritten Welt- krieg hinzu. Gleichzeitig wächst die Angst vor einer Energiekrise, und das in einer Zeit, in der alles teurer wird. Angesichts dieser Mischung bleibt wohl nicht einmal ansatzweise Raum für eine irgendwie posi- tiv besetzte Erzählung, die sich Anleger zu Eigen machen könnten. Darf man daraus schließen, dass es Ihrer Ansicht nach mit den Kursen an den Kapi- talmärkten noch weiter nach unten gehen wird? » Die Entwicklung an den Aktienmärkten, wie wir sie seit dem Tief von 2009 bis Anfang dieses Jahres gesehen haben, war mehr als spekta- kulär, sogar unter Berücksichtigung der Inflation. « Robert Shiller, Professor an der Yale University 38 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ROB ERT J . SH I L L ER | YAL E FOTO: © ROBERT A. LISAK

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