Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten, ein nur unzureichendes Angebot an Häusern vorfanden. Und das nach einer Phase, in der die Immobilienmärkte ohnehin bereits stark gestiegen waren. Das ist eine Erscheinung, die durchaus vergleichbar ist mit im Rück- blick irrational erscheinenden Übertreibungs- phasen, ob im Vorfeld des Millennium- Booms an den Aktienmärkten im Jahr 2000 oder vor der Immobilienblase, die sich vor der Finanzkrise von 2008 herausgebildet hatte. Auch die Entwicklung an den Aktien- märkten, wie wir sie seit dem Tief von 2009 bis Anfang dieses Jahres gesehen haben, war mehr als spektakulär, sogar unter Berücksichtigung der Inflation. Aber die Motivation der Investoren war eine andere. Inwiefern? Robert Shiller: Es fehlte aus meiner Sicht die Euphorie auf Seiten der Anleger, wie wir sie zur Jahrtausendwende erlebt haben. Daher scheint die Motivation von Investoren für die ohne Zweifel bemerkenswerten Über- treibungen, die wir vor der jüngsten Korrek- tur gesehen haben, eine andere zu sein. Schon in meinem 2019 erschienenen Buch habe ich ausführlich darauf hingewiesen, dass Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Kapitalmärkten immer stärker ge- trieben werden von bestimmten Narrativen, die die Menschen miteinander austauschen und weiterverbreiten. Dadurch hat sich auch für die Entwicklung an den Kapitalmärkten und den Verlauf von Aktienkursen etwas vollkommen verändert. Wie drückt sich dieser Unterschied konkret aus, was treibt Anleger heute an bei ihren Investmententscheidungen? Robert Shiller: Es hat sehr viel damit zu tun, was Robert Merton schon in den 1940er- Jahren als sich selbst erfüllende Prophe- zeiung beschrieben hat. Wichtige Stichwor- te in diesem Zusammenhang sind zudem Begriffe wie die sogenannte „Gamification“ der Kapitalmärkte oder das Aufkommen sogenannter Meme-Aktien. Auch die zeit- weise enorme, inzwischen aber wieder er- heblich zurückgegangene Begeisterung von Investoren für etwas wie den Bitcoin ist aus meiner Sicht in erster Linie die Folge eines Hypes, der im Grunde nicht rational erklär- bar ist, sondern lediglich auf der damit ver- bundenen Erzählung über die Sinnhaftigkeit oder, besser gesagt, die Notwendigkeit einer von staatlicher Regulierung befreiten dezen- tralen Verwahrung eines vermeintlichen Wertgegenstands basiert. Die Menschen nei- gen ganz offensichtlich immer mehr dazu, Anlageentscheidungen nicht auf der Basis von rationalen Erwägungen anhand von fundierten Daten und Zahlen zu treffen. Sie treffen sie auf der Basis von bestimmten Geschichten, die sich über Smartphones und Social-Media-Kanäle verbreiten. Da- durch steigt natürlich das Potenzial für eine zunehmende Irrationalität des Investierens. Woran machen Sie das fest, und woran liegt das aus Ihrer Sicht? Robert Shiller: Das Gedankengerüst dazu habe ich schon in meinem gemeinsam mit George Akerlof verfassten Buch „Phishing for Phools“ formuliert und später in „Nar- rative Economics“ aufgegriffen. Im Grunde geht es darum, dass die meisten Menschen nicht wie Ökonomen denken. Aktuell zum Beispiel sind viele enorm verwirrt durch eine anhaltende Nachrichtenflut über eine ausufernde Inflation, weil sie nicht wissen, welche Konsequenzen eine solche Entwick- lung für sie haben wird und wie sie damit umgehen sollen. Sie sind verunsichert, weil sie keinen Zugang zu ökonomisch fundier- ten Erklärungen auf der Basis realer Zins- sätze oder realer Preise haben. Entspre- chend fehlt ihnen ein tiefgründiger Einblick in wirtschaftliche Zusammenhänge. Sie ent- » Ausmaß und Breite der Korrekturen haben zu einer historisch einmaligen Situation geführt, die so noch nie zu beobachten gewesen ist. « Robert Shiller, Professor an der Yale University 36 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ROB ERT J . SH I L L ER | YAL E FOTO: © ROBERT A. LISAK

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