Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

öffentlichen Hand in der Zukunft kleiner. Wenn wir uns heute verschulden, übertra- gen wir eine Umverteilungslast in die Zu- kunft“, sagt Vöpel. Auf der anderen Seite sollten wir heutige Finanzierungsspielräume nutzen, um der nächsten Generation eine bessere Welt zu hinterlassen, in der das Kli- ma erhalten bleibt und in der es gute Schu- len, Universitäten und Krankenhäuser gibt. „Wir müssen beides leisten“, meint Vöpel. „Wir dürfen nicht zu viel Umverteilungslast in die Zukunft übertragen, aber wir müssen auch die notwendigen Investitionen heute finanzieren.“ Keiner sagt, dass das leicht ist. Er konzediert: „Zu Beginn sprachen wir darüber, dass wir im Moment unseren Kapi- talstock wesentlich erneuern müssen. Der Aufbau einer neuen Infrastruktur steht an: Mobilität, digitale Infrastruktur, Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft … All das erfor- dert jetzt ziemlich konzentriert auch öffent- liche Investitionen, mit denen wir am Ende auch private Investitionen und Innovationen auslösen wollen. Wenn wir in eine andere Richtung gehen wollen, brauchen wir dafür neue Infrastrukturen, Ressourcen und Kom- petenzen.“ Also ist jetzt womöglich was dran an der Geschichte, auch wenn aktive Politiker immer der Meinung sind, es gäbe keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, viel Geld in die Hand zu nehmen – für Bildung, Digitalisierung, Straßen und so weiter. „Natürlich hat jeder Politiker einen Anreiz, die eigenen Handlungsspielräume möglichst groß zu machen, auch wenn dies zulasten zukünftiger Handlungsspielräume geht, aber wir haben auch nicht immer einen solchen Paradigmenwechsel wie jetzt“, so Vöpel, „bei dem es darauf ankommt, möglichst frühzeitig die Weichen zu stellen.“ Hände weg von Preiseingriffen! Wir bleiben bei dem Dilemma, in dem sich Politiker heute befinden, und unterhal- ten uns über den Satz „You Never Walk Alone“, den Bundeskanzler Olaf Scholz neulich sagte. „Der Satz wird ja im Fußball gern bemüht. Es geht um die Beziehung zwischen Mannschaft und Fans. Das ist ja eigentlich positiv“, meint Vöpel. Wenn allerdings die Politik einen solchen Satz be- mühe, suggeriere das, dass niemand sich mehr sorgen müsse. „Das ist ein Verspre- chen, das die Politik nicht erfüllen kann, weil die Solidarität dort endet, wo die Über- forderung beginnt“, gibt Vöpel zu beden- ken, „diese Überforderung des Staates hat ja auch Hans-Werner Sinn Anfang September angesprochen.“ In gewisser Weise sei das schizophren: Auf der einen Seite suggeriert die Politik: Die Gesellschaft steht vor ge- waltigen Umbrüchen. Auf der anderen Seite erklärt sie: Niemand von euch wird es spü- ren. „Das ist ein unehrliches Versprechen, das am Ende dazu führen muss, dass die Ansprüche an den Staat so groß werden, dass er sie nicht erfüllen kann und Vertrauen verliert.“ Mit den hohen Energiepreisen würden reale Kosten anfallen, die man fair verteilen muss, die aber irgendjemand zwingend trägt. Vöpel warnt davor, in der Breite steigen- de Preise wegzusubventionieren und damit die Knappheitssignale zu unterdrücken: „In den Preis einzugreifen würde bedeuten, dass » Globalisierung ist auch ein Risikoargument. Sie hilft uns, Versorgungsrisi- ken zu diversifizieren. « Prof. Dr. Henning Vöpel, Vorstand der Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (cep) 246 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com P O R T R ÄT | DR . HENN I NG VÖP E L | C ENTRUM FÜR EUROPÄ I SCHE POL I T I K FOTO: © TIM FLAVOR

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