Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

umzugehen ist für Vöpel eine der wichtigs- ten Fähigkeiten für eine Zeit, die sich un- heimlich beschleunigt. Wir brauchen mehr Puffer Um aber den gewünschten neuen Kapi- talstock aufzubauen, sei Globalisierung nach wie vor notwendig. „Viele Millionen Menschen konnten durch die Globalisie- rung der Armut entkommen“, meint er und möchte damit die Befürworter einer kom- pletten Deglobalisierung einbremsen. „Glo- balisierung ist auch ein Risikoargument. Sie hilft uns, Versorgungsrisiken zu diversifizie- ren.“ Aber wo lag dann das Problem? „Wir haben das Effizienzprinzip so weit getrie- ben, dass wir kaum noch Resilienz auf- gebaut haben. Diese hochkomplexen Just- in-time-Lieferketten, bei denen wir kaum noch Lagerhaltung hatten, wurden immer fragiler“, beobachtet er im Nachhinein. „Mir ist erst angesichts des Vorfalls mit dem Containerschiff im Suezkanal aufgefallen, wie geradezu symbolisch der Kanal für die Globalisierung steht, wie wir sie praktiziert haben. Auf den Fernsehbildern hat man gesehen, wie schmal der Kanal ist! Und 30 Prozent des Welthandels gehen durch dieses Nadelöhr!“ In der Risikoforschung spricht man vom „single point of failure“, an dem ein System zusammenbrechen kann. „Wir haben ge- glaubt, die Welt sei viel stabiler, als sie ist. In letzter Zeit kamen eine Reihe Krisen, die uns zeigen: Effizienz ist schön, aber Resi- lienz hilft uns, mit unerwarteten Ereignissen besser umzugehen. Sie hilft uns, krisenfähi- ger zu werden.“ Trotz der Krisen, die sich in letzter Zeit häufen, rät Vöpel nicht zum Streben nach kompletter Unabhängigkeit. „Es wäre fatal, beispielsweise aufgrund der Erfahrung mit Russland zu sagen, Annäherung durch Han- del sei gescheitert. Länder, die nicht ein- seitig, sondern wechselseitig voneinander abhängig sind, sind vielleicht nicht zum Frieden verpflichtet, aber sie haben einen starken Anreiz, kooperativ zu sein.“ Von China hänge ab, wie es mit der Globalisie- rung weitergehe. „Europa hat ein riesiges Strategiedefizit. Teilweise sind wir wegen der ökonomischen Abhängigkeit politisch nicht mehr handlungsfähig, geraten in ein moralisches Dilemma“, schlägt er auch warnende Töne an. Trotzdem ist er der Mei- nung: „Autarkie ist der falsche Weg. Wenn wir komplett deglobalisieren, würde uns das massiv Wohlstand kosten. Wir haben ja ohnehin schon Fachkräftemangel. Wie sol- len wir all das, was wir heute günstig im- portieren, in Zukunft ohne Wohlstandsver- lust selbst produzieren?“ Generationengerechtigkeit Der Fachkräftemangel bringt uns zum Thema Generationengerechtigkeit. In un- mittelbarer Nähe der Bundespressekonfe- renz, wo wir uns unterhalten, befindet sich die Schuldenuhr. Dem Bund der Steuer- zahler ist es mit der Schuldenuhr gelungen, den Schuldenstand und den sekündlichen Schuldenzuwachs für Deutschland zu visua- lisieren. Wir gehen rüber und sehen, dass die Schuldenuhr abgestellt ist. Sagt uns das was? Womöglich müssen wir auch hier die Modelle ändern. „Auf der einen Seite ist das natürlich richtig: Wenn der Staat sich verschuldet, werden die Handlungsmöglichkeiten der „Während sich altes Vermögen entwertet – wie zum Beispiel fossile Ressourcen und Geschäftsmodelle –, muss neues Vermögen aufgebaut werden“, meint Prof. Dr. Henning Vöpel und ergänzt: „Wir dürfen nicht zu viel Umverteilungslast in die Zukunft übertragen, aber wir müssen auch die notwendigen Investitionen heute finanzieren.“ N o. 3/2022 | www.institutional-money.com 245 P O R T R ÄT | DR . HENN I NG VÖP E L | C ENTRUM FÜR EUROPÄ I SCHE POL I T I K

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