Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

E rfrischend kommt er rüber, und ihm zu folgen fällt leicht, weil er die Dinge klar beim Namen nennt. Eine seiner Arbeiten zum Thema Dis- ruption hat er mit folgendem Leitsatz überschrieben: „Wir unterliegen einer Vermögensillusion. Vermögen ist immer das Vermögen, Zukunft zu gestalten.“ Auf die Frage, wie er das meint, ant- wortet er: „Wir erleben die Krise und den Zerfall von Ordnungen. Während sich altes Vermögen entwertet – wie zum Beispiel fossile Ressourcen und Geschäftsmodelle –, muss neues Vermögen aufgebaut werden.“ Passend findet er, dass im deutschen Sprachgebrauch das Wort Vermögen zwei Bedeutungen hat: zum einen das reale Vermögen als physisches Kapital und zum anderen das intellektuelle Vermögen als kognitive Fähigkeit. „Unser Vermögen, die Zukunft neu zu denken, ver- bindet sich mit der Aufgabe, volkswirt- schaftlich neues Vermögen für die Zukunft aufzubauen.“ Es braucht neue Modelle Aber genau das macht langfristig ausge- richteten Investoren Angst, denn sie arbeiten überwiegend mit Vergangenheitsdaten, die letztlich Repräsentanten der Vergangenheit sind. „Wenn wir glauben, dass die Zukunft substanziell anders aussehen wird als die Vergangenheit, müssen wir uns von den alten Daten und Denkweisen lösen, weil sie uns sonst in unserem Handeln prädeter- minieren. Die alten Modelle sind nur noch bedingt tauglich. Wir brauchen andere Heu- ristiken, Regeln und Wertmaßstäbe, um die Welt neu zu vermessen“, meint Vöpel. Tatsächlich haben wir gesehen, dass sich die alten Regeln nicht mehr so anwenden lassen wie in der Vergangenheit, wenn sich die Parameter unserer Welt verändern; bei- spielsweise als die Zinsen in den negativen Bereich gerutscht sind. „Dann rechnen sich einige Modelle auf einmal ganz anders – oder gar nicht mehr, weil sich die Zusam- menhänge qualitativ verändert haben“, gibt Vöpel zu bedenken. Dazu hört er gern Nassim Nicholas Taleb, den Risikoforscher. Der Umgang mit Unsi- cherheit interessiert ihn gerade sehr. „Taleb hat kürzlich ein interessantes Video ver- öffentlicht, in dem er zeigt, dass die alten Diversifizierungsregeln nicht mehr funktio- nieren, wenn wir einen negativen Erwar- tungswert haben. Wenn uns Schwarze Schwäne in den Ruin treiben können, dürfen wir nicht mehr statistisch mit ihnen kalkulieren, sondern müssen sie zum Ausgangspunkt unseres Handelns machen. Entsprechend müssen wir auch unsere Portfolios an die neue Zeit an- passen“, so Vöpel. Wie das geht? „Einzelwirtschaftlich versucht jeder, sein Vermögen zu retten, indem wir in vermeintlich sichere Häfen investieren: Gold, Währungen, Investo- ren … Aber im Aggregat geht das nicht, da können wir nicht alle im sicheren Hafen liegen. Volkswirtschaftlich geht es also darum, neues Produktivvermögen auf- zubauen. Wir können Kosten und Risiken umverteilen, aber letztlich führt das nur tiefer in Zielkonflikte. Was wir brauchen, sind neue Optionen für die Zukunft“, sieht Vöpel den Ausweg. Auch Gerd Gigerenzer findet er gut. „Der hat gerade ein neues Buch herausgebracht. Darin sagt er, dass wir manchmal den Informationsgehalt von immer mehr Daten überschätzen. Gerade bei Unsicherheit sind robuste, das heißt einfache und verständ- liche Regeln überlegen.“ Mit Komplexität Prof. Dr. Henning Vöpel ist Vorstand der Denkfabrik Centrum für Europäische Politik und Volkswirt- schaftsprofessor an der BSP Business and Law School in Berlin. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten gibt er regelmäßig Denkanstöße zu Themen wie Geldpolitik, Rezessionsgefahren, Standort- und Industriepolitik. Neues Vermögen aufbauen Henning Vöpel frei assoziierend zu … … Sachwerte: „Das ist die einzig echte Form, wirklich zu investieren. Alle Finanzwerte müssen sich irgendwann zurückführen lassen auf Sachwerte.“ … Bitcoin und Co: „Ich glaube nicht an Krypto- währungen, weil sie nicht die Geldfunktionen erfüllen. Aber Kryptotechnologien haben das Potenzial, unseren Alltag sehr stark zu verändern.“ … Persönliche Gespräche: „Wichtig. Lebenselixier. In der Antike war der Diskurs eine Methode, um zu Erkenntnis zu gelangen. Das sollten wir wieder reaktivieren!“ … Globalisierung: „Es gibt keine Alternative dazu. Aber wir werden neue Formen der Globalisierung erleben: institutionell, politisch, ökonomisch.“ … Nachhaltiges Investieren: „Echte Investitionen sind immer nachhaltig – das wissen wir schon aus der Forstwirtschaft.“ … Digitaler Fortschritt: „Beginnt mit dem Menschen und endet beim Menschen. Er muss seiner Freiheit und seiner Lebensqualität dienen.“ … Fridays for Future und andere aktivistische Bewegungen: „Sind wichtig, aber monothematische Bewegungen können die Politik nie ersetzen.“ … Einfache Lösungen: „Sind falsche Versprechen und oft ideologisch.“ … Kultur: „Ist eine Idee des Zusammenlebens von Menschen. Angesichts spaltender sozialer Medien müssen wir uns dringend wieder kultivieren.“ » Wir brauchen andere Heuristiken, Regeln und Wertmaßstäbe, um die Welt neu zu vermessen. « Prof. Dr. Henning Vöpel, Vorstand der Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (cep) 244 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com P O R T R ÄT | DR . HENN I NG VÖP E L | C ENTRUM FÜR EUROPÄ I SCHE POL I T I K FOTO: © TIM FLAVOR

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