Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

scheidung der EU absehbar wurde, haben wir intern natürlich darüber diskutiert, ob Unternehmen der Nukleartechnik zu unse- rem Nachhaltigkeitsansatz passen und wie wir künftig damit umgehen sollen. Aber wir sind aus guten und nachvollziehbaren Grün- den zu der Entscheidung gekommen, unsere ESG-Grundsätze nicht zu verändern. Was hat dabei eine Rolle gespielt? Ingo Speich: Unser Verständnis von Nach- haltigkeit geht sehr stark zurück auf deren eigentliche Ursprünge, die die Vereinten Nationen bereits 1987 in ihrem Brundtland- Bericht formuliert haben. Darin ist als eines der Merkmale einer nachhaltigen Entwick- lung eine intra- und intergenerationelle Ver- teilungsgerechtigkeit definiert. Mit diesem Wortungetüm ist gemeint, dass Entwicklung nur dann dauerhaft ist, wenn sie die Bedürf- nisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen können. Unter diesem Leitgedanken sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir der Nukleartechnik auch künftig kritisch gegenüberstehen. Einer der ausschlagge- benden Gründe dafür war die nach wie vor ungelöste Endlagerfrage. Welche weiteren gab es? Ingo Speich: Mit einem Investment in Atom- kraft ist ein Regulierungsrisiko verbunden. Denn selbst wenn man auf der einen Seite das Ereignisrisiko, also das tatsächliche Eintreten eines Schadens, als relativ gering betrachtet, so steht dem andererseits ein enorm hohes und kaum zu kalkulierendes Schadensrisiko gegenüber. Unter dem Risi- kogesichtspunkt, der zum Beispiel bei einem institutionellen Investor bei dessen Entscheidung für ein nachhaltiges Invest- ment immer eine zentrale Rolle spielt, lässt sich ein Investment in Atomkraft unserer Auffassung nach nicht verantworten; zumal sich durch die Aufnahme von Atomkraft in die EU-Taxonomie im Endeffekt nichts an der Eintrittswahrscheinlichkeit oder den Risikoparametern ändert, was man ja live an der Börse beobachten kann. Worauf spielen Sie an? Ingo Speich: Die beschlossene Verstaatli- chung des französischen Energiekonzerns EDF ist das beste Beispiel dafür, welche Risiken gerade im Nuklearsektor bestehen. Nach aktuellem Stand soll das Unterneh- men, dessen Aktienkurs im Grunde seit zehn Jahren auf dem Weg nach unten ist, zum Preis von zwölf Euro von der Börse genommen werden. Der Grund dafür sind Investitionssummen in einer Höhe von 100 Milliarden Euro, die bis zum Jahr 2030 je zur Hälfte für die Sanierung der bestehen- den Atommeiler sowie zur Finanzierung bereits neu geplanter Kraftwerke aufge- bracht werden müssen. Das Unternehmen kann diese Summen aber nicht mehr tragen. Daran wird erkennbar, dass solche Risiken in die Obhut des Staates gehören. All das zusammengenommen wäre schon Grund genug, unter Nachhaltigkeitsgesichtspunk- ten nicht in Atomkraft zu investieren. Welchen Grund gäbe es denn noch? Ingo Speich: Zum Betreiben eines Atomkraft- werks benötigt man Uran. Das ist nicht nur ein endlicher Rohstoff, er muss zudem importiert werden, weil er überwiegend in Konfliktregionen oder zumindest politisch instabilen Ländern gefördert wird. Frank- reich bezieht ihn aus Nordafrika, andere europäische Länder aus der Ukraine oder aus Russland. Wenn man das alles einbe- zieht, gehört hinter Argumente wie Energie- unabhängigkeit und CO 2 -Neutralität durch Nuklearstrom ein dickes Fragezeichen. Mit Fragezeichen sind für manche Markt- beobachter auch die Zukunftsaussichten der Automobilindustrie versehen. Ein derzeit heiß diskutiertes Thema ist der Börsengang von Porsche. Was halten Sie davon? Ingo Speich: Im Prinzip ist es für ein Unter- nehmen wie Porsche von Vorteil, denn es » Unser Verständnis von Nachhaltigkeit geht sehr stark zurück auf deren eigentliche Ursprünge, die die Vereinten Nationen bereits 1987 in ihrem Brundtland-Bericht formuliert haben. « Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit bei Deka Investment 232 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | I NGO SP E I CH | DEKA I NVE S TMENT S FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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