Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

einzig bei Momentum, Cash und Firmen- größe statistisch relevante positive Zusam- menhänge. „Insgesamt lässt sich also der Schluss ziehen, dass sich Firmen in ech- ten ESG-Krisen eher von finanziellen als sozialen Motiven leiten lassen“, fasst Demers zusammen. Relativ lukrativ Dass bei scheinbar moralisch moti- vierten Reaktionen auf ethisch-nachhal- tige Krisen in Wirklichkeit finanzielles Kalkül entscheidet, legt auch die bereits erwähnte Yale-SOM-Liste nahe – wie auch die entsprechende Auswertung „It Pays for Companies to Leave Russia“, die ebenfalls unter Federführung von Jeffrey Sonnenfeld publiziert wurde. Mit vier Co-Autoren – alle aus Yale – hat sich der Ökonom sowohl auf Einzelunternehmensbasis wie auch branchenübergreifend angesehen, wie sich der Kriegsausbruch auf Unternehmen mit Russland-Exposure auf deren Geschäfts- gebaren ausgewirkt hat. Zugrunde liegt der im Mai 2022 erschie- nenen Studie die SOM-Liste mit damals 1.200 gelisteten Unternehmen, von denen laut Sonnenfeld „nahzu 1.000 angekündigt haben, sie würden freiwillig Aktionen set- zen, die über die verhängten Sanktionen hinausgehen, oder sich sogar komplett aus Russland zurückziehen“. Sortiert hat das Team die 1.200 Unternehmen mit Russland- Exposure nach fünf Kategorien, die er von A bis F gemäß dem US-amerikanischen Schulsystem geordnet hat. A entspricht der Bestnote und beschreibt einen Rückzug, dann folgen „Geschäft ausgesetzt“, „Ge- schäft reduziert“, „Auf Zeit spielen“ und – mit F – „Status quo ante“. Die Autoren rechnen nun die Kosten eines Rückzugs in Form von Abschreibun- gen mit den relativen Erträgen im Finanz- markt gegen (siehe Tabelle „Lukrative Auf- lösung“) : Aus Sicht der Aktienmärkte ergibt sich für die Zeit rund um den Invasions- beginn ein ganz klarer durchschnittlicher Performancevorteil. Analysiert man Einzel- titel (siehe Fallbeispiele in der Tabelle „Lu- krative Auflösung“) , so verbleiben für Ein- zelunternehmen branchen- und regionen- übergreifend auch nach Abschreibungen klare Gewinne, wenn sie sich aus Russland zurückgezogen haben. „Aus Investorensicht übertrifft das Risiko eines fortgesetzten Russlands-Engagements die Kosten eines Marktrückzugs“, fasst Sonnenfeld zusam- men. Abgeleitet von den Entwicklungen ab- seits der Aktienmärkte – und zwar an den Kredit- und Derivatemärkten – erreicht das Autorenteam für nicht gelistete Unterneh- men äquivalente Ergebnisse. Schlussfolgerungen Die hier zusammengefassten Studien können als Warnung vor allzu hohen mora- lischen Ansprüchen an die Umsetzung von ESG-Prinzipien in Sondersituationen ver- standen werden. Was nicht bedeutet, dass nicht auch die Kritik selbst differenziert betrachtet werden muss – gerade was die Profitabilität einer Aufgabe des Russland- geschäfts betrifft: Je größer das Unter- nehmen, desto leichter fällt es, einen relativ geringen Umsatzanteil abzustoßen und so das Risiko bei den Stakeholdern zu redu- zieren. Allerdings sind alle Berechnungen auf ein sehr kurzes Zeitfenster beschränkt. Langfristig orientierte Investoren könnten fragen, ob die Unternehmen, die an den Märkten kurzfristig für ihren Verbleib in Russland abgestraft wurden, sich nicht mittelfristig an die Gesamtperformance angleichen. Geschieht das, so wären die nicht erfolgten Abschreibungen und der Zugang zu einem Markt, in dem sie plötz- lich deutlich weniger westliche Konkurrenz vorfinden, ein Bonus, der die Verlierer von gestern zu den Gewinnern von heute ma- chen könnte. HANS WEITMAYR » Aus Investorensicht übertrifft das Risiko eines Russland-Engagements die Kosten eines Marktrückzugs. « Jeffery A. Sonnenfeld, Yale School of Management Relativ lukrative Auflösung Zumindest kurzfristig hat sich eine Aufgabe des Russlandgeschäfts gelohnt. Durchschn. Ertrag Durchschn. Ertrag Durchschn. Verlust Anz. der Strategie 2/23 to 4/8 2/23 to 4/19 2/23 to 3/14 Beob. A – Rückzug 3,96 % 3,57 % –2,97 % 139 B – Gesch. ausgesetzt 2,99 % 2,16 % –3,90 % 228 C – Gesch. reduziert 2,93 % 3,63 % –3,20 % 65 D – Auf Zeit spielen –2,18 % –4,52 % –7,54 % 74 F – Status quo ante –5,47 % –6,82 % –12,54 % 87 Total 1,66 % 0,76 % -4,96 % 593 Ankündigung Ertrag wäh- Ertrag seit Abschreibung Durchgerechnet Fallbeispiel Rückzug rend Krieg Abschreibung in Mio. USD Gewinn Heineken 3/28/2022 –3 % 7 % 435 3.691 Shell 4/7/2022 7 % 1 % 5.000 1.848 Exxon 3/1/2022 11 % 9 % 4.000 28.407 Carlsberg 4/14/2022 –16 % 6 % 1.390 1.011 AB InBev 4/15/2022 –4 % 1 % 1.100 1.641 Societé Générale 4/11/2022 –26 % 9 % 2.160 1.782 Total 14.085 38.381 Egal aus welchen Gründen sich ein börsennotiertes Unternehmen aus Russland zurückzog – kurzfristig rentierte sich ein solcher Schritt im Vergleich zu Firmen, die einen solchen Rückzug verschoben oder gar ausgeschlossen haben. Fallbeispiele aus unterschiedlichen Branchen und Regionen legen nahe, dass dieser Vergleich kurzfristig auch dann hält, wenn man die Abschreibungen berücksichtigt, die sich aus dem Rückzug ergeben. Quelle: Studie 136 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | RÜCKZUG AUS RUSS LAND FOTO: © TONY RINALDO

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