Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

stellt wurde und kontinuierlich aktualisiert wird. Referenziert wird auf diese Aufzäh- lung als „Yale-SOM-Liste“, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist sie unter Sonnenfelds Bezeichnung „list of shame“ weil eine seiner Agenden darauf abzielt, Unternehmen, die nach wie vor Geschäfte in Russland machen, an den Pranger zu stellen. Die Hypothese Geht man nun davon aus, dass ESG- Kriterien westlichen Standards von Ethik, Nachhaltigkeit und Governance entsprechen, müsste sich das im Verhal- ten von europäischen Unternehmen rund um den Russlandkonflikt widerspiegeln. Unternehmen mit hohen ESG-Scores soll- ten – so diese Bewertungen eine Aussage- kraft beinhalten – in einem stärkeren Maß und mit höherem Tempo ihr Russlandge- schäft zurückfahren als Unternehmen mit niedrigen ESG-Ratings. Aus der Auswertung der Daten ergibt sich, dass das durchschnittliche Unter- nehmen ein Russland-Exposure von etwa 1,6 Prozent aufweist. Bis 10. Juni 2022 haben sich 30 Prozent der Unternehmen aus Russland zurückgezogen. Dieser Rückzug hat durchschnittlich 19 Tage in Anspruch genommen. Filtert man nun nach ESG-Grad, „um herauszufinden, ob Firmen mit hohen ESG- Scores auf den sozialen Impact ihres Handelns tatsächlich Wert legen, zeigt sich verblüffenderweise, dass trotz der dürftigen Bilanz, die Russland in Sachen Menschen- rechte und soziale Fragen ausweist, Unter- nehmen mit russischem Geschäft einen um 15 Prozent höheren Refinitiv-ESG-Score im Bereich ‚soziales Gewissen‘ und einen um fast 30 Prozent höheren Wert in der Kate- gorie ‚Menschenrechte‘ erreichen als der Durchschnitt“, wundert sich Demers. Eine Erklärung für diese Tatsache könnte sich aus der generellen Korrelation zwi- schen Russlandgeschäft, ESG und Firmen- größe ergeben: Denn größere Unternehmen weisen tendenziell einen höheren ESG- Score auf, weil sie über mehr finanzielle Mittel verfügen, die diversen ESG-Kriterien zu erfüllen. Gleichzeitig steigt mit der Firmengröße auch die Wahrscheinlichkeit, international – und somit auch in Russland – Geschäfte zu tätigen. ESG-Mankos aus dem Russland-Engagement wurden also durch konzernweit hohe ESG-Ratings über- kompensiert. So weit eine plausible Erklärung für das Gebaren von Unternehmen vor der Inva- sion. Doch was war danach? Zogen ver- meintlich sozialere und nachhaltigere Unter- nehmen schneller die Reißleine als ihre Konterparts und beendeten ihr Russland- geschäft früher als der Mitbewerb? Intuitiv gesehen müsste das so sein, faktisch zeigt sich jedoch ein anderes Bild (siehe Tabelle „Russlandgeschäft verlassen? Erst mal drü- ber schlafen ...“) : Demnach gibt es keinen statistisch relevanten Zusammenhang zwi- schen ESG-Score und einem tatsächlichen Ende der Geschäftsbeziehungen mit Russ- land. Und hat sich ein Unternehmen erst einmal entschlossen, sein Russland-Expo- sure zu terminieren, gibt es keinen Zusam- menhang zwischen ESG-Rating und Tempo des Rückzugs. Bei der Entscheidung, ob man den russischen Markt verlässt, gibt es Russlandgeschäft verlassen? Erst mal drüber schlafen … Unternehmen mit hohen ESG-Scores verließen Russland nicht schneller als solche mit schlechten Ratings. Rückzug Durch- Durch- oder Refinitiv- ISS schnittli- Tempo des Refinitiv- ISS schnittli- Aussetzen ESG-Score ches ESG Rückzugs ESG-Score ches ESG ESG-Score 0,0078 -0,0243 0,9513 ESG-Score 0,0002 0,0035 0,6602 (0,0135) (0,059) (1,5458) (0,0087) (0,0348) (0,9608) Russ. Disclosure 0,0717 0,01 0,0746 Russ. Disclosure 0,0671 0,0132 0,0652 (0,1441) (0,1488) (0,1447) (0,0904) (0,094) (0,0902) Russ. Exposure -0,2551 -0,2475 -0,2615 Russ. Exposure -0,2316 -0,2303 -0,2365 (0,2797) (0,2872) (0,2802) (0,151) (0,1564) (0,15) Analyst 0,0248 0,0316 0,0244 Analyst 0,0182 0,02 0,0152 (0,0291) (0,0309) (0,0292) (0,0185) (0,019) (0,0187) Momentum -0,0101** -0,0066 -0,0101** Momentum -0,0038 -0,002 -0,0038 (0,0051) (0,0055) (0,0051) (0,0032) (0,0034) (0,0032) N-Segmente 0,0471 0,0299 0,0497 N-Segmente 0,0535 0,0472 0,0522 (0,0681) (0,0719) (0,0681) (0,0414) (0,0436) (0,0411) Cash 2,9546* 3,0194 3,0308* Cash 2,9145*** 2,8416** 2,9895*** (1,7618) (1,9329) (1,7559) (0,985) (1,1173) (1,0021) ROA 0,0392 0,0367 0,0385 ROA 0,0251* 0,0263* 0,0247* (0,0254) (0,0264) (0,0254) (0,0143) (0,015) (0,0144) Leverage -0,8994 -0,9088 -0,873 Leverage -0,6221 -0,7421 -0,6669 (1,2542) (1,3057) (1,2521) (0,7705) (0,8057) (0,7563) RD-Intensität -1,6784 -0,5955 -1,2551 RD-Intensität -1,5973 -0,976 -1,9625 (7,6586) (7,6525) (7,5928) (4,5929) (4,5809) (4,5722) BTM 0,0227 0,0086 0,0449 BTM -0,0023 0,0011 0,0278 (0,3711) (0,3817) (0,3735) (0,2527) (0,2638) (0,2548) Größe 0,3785** 0,396** 0,3913** Größe 0,3207*** 0,339*** 0,3161*** (0,1686) (0,1743) (0,1644) (0,1074) (0,1092) (0,1017) Einen statistisch gut belastbaren Zusammenhang mit der Aufgabe des russischen Marktes gab es nur bei den Variablen Cash, Momentum und Size – also der Unternehmensgröße. Ethische Ausrichtungen, gemessen am ESG-Score, konnten in den entsprechenden Regressionen nicht nachgewiesen werden. Die Entscheidung, ob man mit Russland Geschäfte macht oder nicht, hatte also wenig mit ethischen Bedenken zu tun. Quelle: Studie » Offenbar werden Firmen in echten ESG-Krisen eher von finanziellen als sozialen Motiven geleitet. « Elizabeth Demers, University of Waterloo 134 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | RÜCKZUG AUS RUSS LAND FOTO: © LIZ DEMERS

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