Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

E ines der Hauptargumente für ESG-Investments lautet dahin- gehend, dass diese einen na- türlichen Hedge gegen krisen- hafte Marktumfelder bereitstellen würden. Hohe ESG-Scores böten demnach einen erhöhten Schutz im Fall von Naturkatastro- phen, Korruption und regulatorischen Her- ausforderungen. Der Ausbruch der Pande- mie hat diese Interpretation anscheinend gestärkt. Es stellt sich aber die Frage, in- wieweit ESG-Konzepte die Auswirkungen der zweiten großen aktuellen Krise – näm- lich der Krieg in der Ukraine – abfedern konnten. Angesichts der Tatsache, dass Russland schon vor Kriegsausbruch kein ESG-Musterschüler war, hätten das Expo- sure von Unternehmen mit hohen ESG- Scores in Russland niedriger, die Kursver- luste von solchen Unternehmen geringer sein und der Rückzug aus dem russischen Markt schneller erfolgen müssen als bei Unternehmen mit schlechten ESG-Scores oder gar solchen Firmen aus der Kategorie „Sin Stocks“. Zweifel am Konzept Wie der Titel dieser Analyse ver- rät, gibt es allerdings starke Hinwei- se darauf, dass Marktteilnehmer und Investoren im gegebenen Fall mora- lische Prinzipien eher ignoriert ha- ben und vielmehr dem Prinzip der Ertragsoptimierung gefolgt sind. Zu diesem Schluss verleiten diver- se Untersuchungen wie beispiels- weise das Paper „How does war impact socially responsible compa- nies’ stocks? An event study of the Ukraine conflict “ von Lorenzo Ligo- rio, Stella Lippolis, Rossella Leopizzi – allesamt Universität Bari – und Francesca Imperiale von der Univer- sitá del Salento. Das Team hat unter Federführung Leopizzis untersucht, inwiefern sich ESG-Scores auf die Perfor- mance von US-Aktien aus der Fortune-500- Liste ausgewirkt haben. Zu diesem Zweck haben die Autoren die CARs, also die kumulierten abnormalen Erträge der betreffenden Aktien, über fünf beziehungsweise zehn Tage vor und nach der Invasion gemessen und mit den jewei- ligen ESG-Scores von Refinitiv, dem CSR- Reporting und der Zugehörigkeit zu kon- troversen oder nicht kontroversen Sektoren in Zusammenhang gesetzt. Hier zeigt sich (siehe Chart „Marktreaktion auf Ukraine- Invasion“) , dass die generellen CARs am Tag der Invasion „einen Höhepunkt aus- weisen, der zu einer Investmentblase führt, um dann den Weg für ein fallendes Markt- umfeld freizumachen“, wie Leopizzi zu- sammenfasst. Insgesamt weisen die CARs für das zehntägige Zeitfenster einen Wert von minus 0,00202 und für die 20-Tages- Periode einen von minus 0,00088 auf. Mittels Regressionsanalyse vergleichen die Autoren nun den Zusammenhang zwischen ESG-Scores und Performance (siehe Tabelle „ESG-Schutz verpufft“) . Unter Berücksichtigung des ESG-Scores und diverser finanzieller wie nachhaltiger Kontrollvariablen ergibt sich ein relativ ernüchterndes Bild: Zwar gibt es im enge- ren Zeitfenster einen leicht negativen Zu- sammenhang zwischen ESG-Score und den CARs, die statistische Signifikanz ist jedoch relativ niedrig und verringert sich nach Be- rücksichtigung der Kontrollvariablen auf ein Signifikanzniveau von nur noch 90 Prozent. Selbst dieser Level löst sich jedoch voll- kommen auf, wenn man den 20-tägigen Zeitraum betrachtet. Mit anderen Worten: Die Bedeutung von ESG-Scores für die außerordentlichen Erträge beträgt im län- geren Beobachtungszeitraum null – es gibt also in diesem spezifischen faktischen Sze- nario keine ESG-Hedging-Funktion. Für den kürzeren Zeitraum sieht Leopizzi das Glas zumindest halb voll: „Das Befolgen von Nachhaltigkeitskriterien hat einzelne Firmen vor den Fluktuationen bewahrt, die der Aktienmarkt in den fünf Tagen vor und nach Beginn der Invasion erlebt hat.“ Moral egal? Auch ein Sortieren nach kon- troversen und nicht kontroversen Branchen zeigt keine Performance- vorteile bei vermeintlich ethisch- nachhaltig agierenden Sektoren. Nonkontroverse Industrien konnten zwar im kürzeren der beiden Zeit- fenster einen minimalen Abfede- rungseffekt gegen die aufgetretenen Volatilitäten vorweisen – das aller- dings nur auf einem Signifikanz- niveau von 90 Prozent. Im längeren Beobachtungszeitraum war die Unterteilung in „kontrovers“ und „nicht kontrovers“ statistisch gese- hen bedeutungslos – egal ob die Branche ethisch bedenklich war oder nicht: Letzten Endes ging es bergab. Unternehmen mit hohen ESG-Werten haben sowohl im Vorfeld als auch im Rahmen des Angriffs auf die Ukraine nicht anders agiert als solche mit schlechten ESG-Werten. Auch der Hedging-Mythos von ESG in schwierigen Marktlagen hat sich nicht bewahrheitet. Marktreaktion auf Ukraine-Invasion Kumulierte abnormale Erträge (CAR) von Fortune-500-Unternehmen Am Tag der Invasion setzten die höchsten kumulierten abnormalen Erträge (CAR) ein. In der Folge setzte sich eine insgesamt pessimistische Sichtweise durch. Quelle: Studie -0,020 -0,015 -0,010 -0,005 0 0,005 0,010 0,015 0,020 0,025 0,030 Kumulierte abnormale Rendite Kriegsbeginn Höchst-/Tiefstwerte 0,016 -0,008 -0,008 -0,018 -0,018 0,018 -0,016 -0,010 -0,005 0,006 0,027 0,022 -0,003 -0,011 13. 15. 17. 19. Februar März 21. 23. 25. 27. 01. 03. 05. CAR Moral über Bord 132 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | RÜCKZUG AUS RUSS LAND FOTO: © JUERGEN | STOCK.ADOBE.COM

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