Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

messen, mit der eine Kombination aus Risi- kobegriff und einer spezifischen Länderbe- zeichnung vorkommt. Der so entstehende Indexverlauf für die USA ist nun mit dem globalen Verlauf tatsächlich nahezu deckungsgleich. Vergleicht man aber den US-GPRI mit dem deutschen GPRI, so ergeben sich drastische Unter- schiede (siehe Chart „Risikowahrneh- mung über 122 Jahre“) . Hier ist auffäl- lig, dass 9/11 für die USA das höchste Risiko der Nachkriegszeit darstellt. Für Deutschland kristallisiert sich hingegen die Zeit rund um den Mauerbau als höchst risikoreich heraus. Der aktuelle Ukrainekrieg wäre laut dieser Messung für Deutschland das zweitgefährlichste Er- eignis seit den 1950er-Jahren, während er es aus US-Sicht nicht einmal unter die fünf ge- fährlichsten Szenarien der vergangenen 70 Jahre schafft. Eine Frage der Aussagekraft Dass der Chart einen einigermaßen nach- vollziehbaren Verlauf zeigt, bedeutet jedoch noch nicht, dass er auch tatsächlich aussage- kräftig ist. Also untersuchen die Autoren, ob es zwischen dem GPR Index und „ökonomischen Desastern“ einen Zusammenhang gibt. Caldara und Iacoviello bedienen sich dabei des Desaster-Dummys von Nakamura et al. aus dem Jahr 2013. Demzu- folge tritt ein ökonomisches De- saster dann ein, wenn sich die BIP-Veränderung eines Jahres im untersten Quintil des Berichtszeit- raums befindet. Die Beobach- tungsperiode der Studie reicht von 1900 bis 2019 – in dieser Zeit lag die durchschnittliche BIP-Verän- derung bei 2,9 Prozent, ein durch- schnittliches Desasterjahr sah die Wirtschaft hingegen um 0,2 Pro- zent schrumpfen. Setzt man die Desastervariable unter Berück- sichtigung diverser Kontrollvari- ablen mit dem globalen und län- derspezifischen geopolitischen Ri- siko GPR in Zusammenhang, so ergibt sich ein Reihe bemerkens- werter Ergebnisse (siehe Tabelle „Wann das Desaster eintritt“) : Demnach wird in der ersten Säule ausgewiesen, dass der Anstieg des globalen GPR Index um eine Standardabweichung das Desasterrisiko um 17,5 Prozentpunkte erhöht. Berücksichtigt man das GPR auf Länderebene, beträgt der Anstieg im selben Fall 9,4 Prozent. Erlebt der GPRI wiederum eine Spitze, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Desasters um knapp 17 Prozent. Als „Spitze“ definieren die Autoren die zehn höchsten Anstiege, ge- messen am 20-jährigen gleitenden Durch- schnitt. Während diese Daten die Auftritts- wahrscheinlichkeit eines Desasters beschrei- ben – also auch dessen Fortsetzung –, um- reißen die letzten beiden Spalten der Tabelle die Wahrscheinlichkeiten für den Beginn und das Ende einer ökonomischen Katastro- phe. Demnach steigt das Risiko bei einer Aufwärtsbewegung des länderspezifischen GPRI von einer Standardabweichung um gerundet sieben auf etwa neun Prozent. Der historische Durchschnitt für das Auftreten eine ökonomischen Desasters liegt bei 2,2 Prozent. Eine weiterführende OLS-Regression lässt den Index auch als Prognosevehikel für BIP-Wachstum, Produktivität und Mili- tärausgaben erscheinen. Demnach sagt er – statistisch relevant und persistent – im Jahr nach dem Anstieg des Index einen Rück- gang bei BIP und Produktion sowie einen Anstieg der Militärausgaben voraus. Unternehmensebene Interessant ist aber nicht zuletzt die Pro- gnosekraft auf Unternehmensebe- ne. Die Autoren messen „Verände- rungen im Investmentverhalten mit einer Zeitverzögerung von zwei Quartalen, da es in der Regel so lang dauert, bis sich Krisen- effekte im Unternehmensgebaren niederschlagen“, wie Caldara er- klärt. Sie entwickeln einen firmen- spezifischen GPR Index, der nicht auf Zeitungsartikeln, sondern auf Geschäfts- und Quartalsberichten basiert, von der textualen Analyse her aber analog konstruiert ist. Auf diese Weise wollen die Autoren herausfinden, ob firmenspezifi- sche Information von allgemein publizierter Information maßgeb- lich abweicht. Neben anderen Kriterien interessant ist auch die Unterteilung der untersuchten US- Unternehmen nach solchen, die gegenüber einer Krisenregion durchschnittliches Exposure, und solchen, die überdurchschnittli- ches Exposure aufweisen. „Unter ‚Exposure‘ verstehen wir das Aus- maß, in dem ein Unternehmen in Geopolitik und Unternehmen Wie sich der Anstieg geopolitischer Risiken auf die Investitionstätigkeit auswirkt Investment (t + 2) Δ GPR × Dummy -0,63 -0,64 Industrie-Exposure (0,29) (0,27) GPR Firmenlevel -0,67 (0,30) Δ GPR -1,39 (1,19) Politisches Risiko -0,75 Hassan et al. (0,25) Cashflow 2,72 2,78 2,67 2,48 (0,46) (0,46) (0,38) (0,30) Tobin’s Q 8,91 7,93 9,31 9,47 (1,68) (1,56) (0,92) (0,90) Investment (t−1) 0,31 0,30 0,24 0,26 (0,01) (0,01) (0,01) (0,01) Beobachtungen 374.727 374.727 95.073 112.161 Firmenfixe Effekte Yes Yes Yes Yes Zeit/Effekte No Yes Yes Yes R 2 0,45 0,47 0,59 0,58 Zeitraum 85Q1–19Q4 85Q1–19Q4 05Q1–19Q4 05Q1–19Q4 Ein verstärktes Risiko-Exposure, das sich in einem hohen Anteil von Umsatz oder Personal in Risikoregionen ausdrückt, führt zwei Quartale nach Ausbruch einer Krise zu rückläufigen Investitionstätigkeiten. Das gilt auch für ein GPR, das auf Firmenbasis erhoben wird. Quelle: Caldara & Iacoviello (Standardfehler in Klammern) » Es dauert im Durchschnitt zwei Quartale, bis sich Krisen im Unter- nehmensgebaren niederschlagen. « Dario Caldara, Board of Governors of the Federal Reserve 128 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | GEOPOL I T I SCHE R I S I KEN FOTO: © BRITT LECKMAN

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