Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

Bewertungsreserven sinken Die steigenden Zinsen haben einen wei- teren Effekt: Wenn die Marktwerte der Be- stände fallen, sinken auch die Bewertungs- reserven, was die Substanz der Lebensver- sicherer schwächt. „In der HGB-Bilanz wirken der Zinsanstieg und die Bewer- tungsreserven gegenläufig“, so Heer- mann, „daher muss die Ertragssituation unter HGB auch bei steigenden Zinsen gut im Auge behalten werden.“ Noch 2020 hielten die Lebensversi- cherer rund 200 Milliarden Euro Be- wertungsreserven, die überwiegend aus den festverzinslichen Papieren kamen, weil die Zinsen so stark gefallen waren. 2021 betrugen die Bewertungsreserven dann noch 150 Milliarden Euro. „Wir gehen davon aus, dass der Rückgang der Bewer- tungsreserven besonders 2022 ziemlich heftig ist. Aktuell dürfte die Branche schon im Bereich stiller Lasten liegen, die wir auf zirka 40 Milliarden Euro schätzen“, erklärt Heermann. Diese Zahl ergibt sich trotz der Reserven, die noch in den Immobilienbe- ständen schlummern. Daher ist denkbar, dass die Lebensversicherer mit ihrer HGB- Bilanz noch weiter in den Bereich stiller Lasten kommen. Das ist insofern relevant, als stille Reser- ven den Versicherungshäusern die Flexibi- lität geben, um ihre Nettoverzinsung zu steuern. Diese Möglichkeit ist jetzt einge- schränkt. Zwar liegen noch Reserven in den Immobilienbeständen, aber diese sind schwieriger zu heben als im Fixed- Income-Bereich. „Damit werden die Ergebnisse nicht mehr so gut steuer- und beeinflussbar wie in der Vergangenheit“, so Will. „Im Normalfall müssen stille Lasten auf Anleihen aber nicht abge- schrieben werden, sodass die Versicherer von unmittelbaren Verlusten bis dato verschont blieben.“ Solvenzquoten steigen Die gestiegenen Zinsen wirken sich aber nicht nur auf die Kapitalanlage, die ZZR und die Bewertungsreserven aus, sondern sie werfen auch Fragen nach den Solvenzquoten der Lebensversiche- rer auf, denn im Solvency-II-Regime wirkt der Zinsanstieg anders als in der HGB-Welt. „Solvency-II-seitig führt der Zinsanstieg zu einer deutlichen Entspan- nung. Durch die höheren Nominalzinsen sinken die Solvenzanforderungen, und da- mit gehen die Solvenzquoten deutlich nach oben“, erklärt Will. Insbesondere Bestände mit hohen klassischen Kapitalgarantien rea- gieren im Solvency-II-Modell äußerst zins- sensibel. „So mancher Lebensversicherer, der früher angesichts der Solvenzquoten noch Sorgenfalten hatte, steht jetzt besser da“, ergänzt Will, „damit sehen Lebensver- sicherungsunternehmen auch den Solvency II Review jetzt viel entspannter als zuvor.“ Auf regulatorischer Ebene wirft der Sol- vency II Review seine Schatten voraus, und der EU-Trilog wird für den Beginn des Jah- res 2023 erwartet. Trotz der entspannteren Lage bei den Sol- venzquoten sind es immer noch die Über- gangsmaßnahmen, die bei der Berechnung der benötigten Eigenmittel unterstützen. Sie ermöglichen es den Lebensversicherern (in Abstimmung mit der Aufsichtsbehörde), bei der Bewertung ihrer versicherungstechni- schen Rückstellungen über einen Zeitraum von 16 Jahren schrittweise auf die volle Solvency-II-Bewertung überzugehen. Spä- testens nach 16 Jahren müssen die Versi- cherungsunternehmen auch mit der markt- konsistenten Bewertung ihrer technischen Rückstellungen, wie sie in Solvency II vor- gesehenen ist, zurechtkommen. „Das ist 2032 der Fall. Bis dahin müssen die Lebensversicherer auch ohne Übergangs- maßnahmen eine Solvenzquote von mehr als 100 Prozent erreichen“, erklär Will. Er verweist darauf, dass in Deutschland Ende 2021 noch fünf Unternehmen unter der 100-Prozent-Marke lagen, wobei dies im Zuge der seit Jahresanfang weiter gestie- genen Zinsen aktuell nicht mehr der Fall sein dürfte. Bruttobeiträge leicht rückläufig Die lange Phase der niedrigen Zinsen blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen auf das Neugeschäft und auf die angebote- nen Produkte. „Unterm Strich hat die LV- » Wir rechnen bereits 2022 mit einem Abbau der ZZR im niedrigen Milliardenbereich. « Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung, Assekurata Gipfel der ZZR war 2021 erreicht Die Branchen-ZZR ist mittlerweile ausfinanziert. Womöglich kann die ZZR jetzt langsam wieder abgebaut werden. 2021 wurden der ZZR rund zehn Milliarden Euro neu zugeführt . Der Bestand der ZZR liegt aktuell bei rund 97 Milliar- den Euro, was etwa zehn Prozent der gesamten Branchenrückstellungen entspricht. Nun kann die aufgebaute ZZR langsam abschmelzen. Allerdings ist der tatsächliche Verlauf der ZZR sehr zins- und bestandssensibel und von der weiteren Marktent- wicklung abhängig. *Mittelwert der ersten neun Monate des Jahres 2021 Quelle: ECB Statistical Data Warehouse, Deutsche Bundesbank, Assekurata -25 0 25 50 75 100 125 150 175 200 -0,5 % 0,0 % 0,5 % 1,0 % 1,5 % 2,0 % 2,5 % 3,0 % 3,5 % 4,0 % 0,04* % 1,5 % -0,19 % 0,96 % 0,51 % 3,15 % 3,92 % 2,21 % 1,73 % 1,56 % Jahresmittelwert Null-Kupon-Euro-Zinsswapsatz ZZR-Bestand (nach Korridormethode) Referenzzins 2010 2015 2020 2025 2030 2035 Bestand Zinszusatzreserve (kumuliert) in Mrd. EUR Zins/Referenzzins (jahresbezogen) in Prozent 110 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | AS S EKURATA - S TUD I E FOTO: © GUIDO SCHIEFER

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