Institutional Money, Ausgabe 3 | 2022

wenn sich die relativen Bewertungen durch Mean Reversion wieder angleichen. Zum Teil ist das beim Profitabilitäts-Faktor der Fall (siehe Grafik „Alpha ist nicht gleich Alpha“) . In der Abbildung ist der Abstand zwischen den beiden Linien aufschluss- reich. Dieser stellt das strukturelle Alpha dar, das nicht auf die Neubewertung zurück- zuführen ist. Doch der Abstand ist die meis- te Zeit bemerkenswert stabil, sodass die Veränderung der relativen Bewertung eben- falls eine wichtige Rolle spielt. Dabei stammt etwa die Hälfte des Faktor-Alphas aus der Neubewertung. Anders ist es beim Value-Faktor, der wirklich dauerhaft ein hohes strukturelles Alpha erzielt. Im eigenen Interesse Schon vor Jahren hat Research Affiliates darauf gedrängt, den Neubewertungseffekt in wissenschaftlichen Studien zu neuen Faktoren einzubeziehen. Auf diese Weise könnte unterbunden werden, dass immer weitere Faktoren als signifikant gelten, ob- wohl sie eventuell nur in einem bestimmten Zeitraum an relativer Bewertung zugelegt haben. Allerdings wurde dies bisher, be- wusst oder unbewusst, weitgehend igno- riert. Eine Erklärung dafür bietet erneut der beschriebene Teufelskreis: Die Veröffent- lichung „signifikanter“ Faktoren ist ein großes Sprungbrett für die Karriere von Akademikern. Gleichzeitig unterliegen wohl viele Faktoren in Wahrheit vor allem dem Neubewertungs-Alpha. Des- sen Berücksichtigung gehört aber nicht zum Standard an Robustheitstests und würde die Ergebnisse untergraben. Im eigenen Interesse hätten die jeweiligen Forscher demnach keinen besonderen Anreiz, den Effekt einzubeziehen. Eine weitere große „Baustelle“, die es bei Rückrechnungen zu beachten gilt, sind Small und vor allem Micro Caps (siehe Artikel „Nur eine Fata Morgana“ in Institutional Money 01/2022). Diese tragen wesentlich zum Implementation Shortfall bei, also der Differenz zwi- schen theoretischem und praktisch um- gesetztem Portfolio. Die Kosten sind in der Praxis häufig deutlich höher, als im Backtest angenommen, insbesondere was illiquide Werte und turbulente Marktphasen angeht. Manchmal sind solche Kosten nicht direkt beobachtbar oder schwer zu messen, sodass sie ein- fach ignoriert werden. Solange die Strategie auf dem Papier gut aussieht, werden die zu- grunde liegenden Annahmen nicht unbe- dingt hinterfragt. Also wird wahrscheinlich ein entsprechendes Produkt lanciert, das hohe Erwartungen seitens der Investoren weckt, die dann nicht selten enttäuscht werden. Skepsis ist angebracht Problematische Rückrechnungen sind ein strukturelles Problem der Finanzindustrie. Man sollte insgesamt eine gewisse Skepsis an den Tag legen, sowohl was praktische als auch akademische Veröffentlichungen be- trifft. Anleger können nur schwer sicherstel- len, ob der Ersteller von gut aussehenden Rückrechnungen tatsächlich alle Klippen umschifft und mögliche verzerrende Fakto- ren angemessen berücksichtigt hat oder eigene Interessen verfolgt, sodass die Effek- te stärker beziehungsweise besser dargestellt sind, als sie wirklich ausfallen. Dem könnte man zwar entgegnen, dass institutionelle Anleger doch Profis sind und diese Bau- stellen schon lange kennen. Schließlich hat jeder von ihnen folgenden Satz schon tau- sendfach gelesen (und überlesen): „Past per- formance is not indicative of future results.“ Trotzdem lassen sich auch Profis von attraktiven Rückrechnungen verleiten. Wo- ran liegt das? Die Autoren um Rob Arnott kommen zu der Erkenntnis, dass die Ursa- che in zwei miteinander verbundenen Ef- fekten zu finden ist, die sie als größte Fehler des Investierens bezeichnen: die Jagd nach (Über-)Rendite, kombiniert mit immer bes- seren technischen Möglichkeiten für Data Mining. Eine einfache Konsequenz, was Rück- rechnungen sowohl für praktische Anlage- strategien als auch akademische Arbeiten angeht, könnte sein, die Hürde für signifi- kante Ergebnisse höher zu legen, als das heute der Fall ist. Zudem sollten stets auch die negativen Ergebnisse geprüft (und dafür natürlich zuerst offengelegt) werden, damit erkennbar ist, was alles getestet wurde und vor allem, was davon nicht funktioniert hat. Anbietern, die das auch auf Nachfrage nicht tun, sollte mit entsprechender Skepsis be- gegnet werden. Auf Seite der Investoren wäre es zugleich hilfreich, wirklich langfris- tig zu denken. Dann ist auch die Gefahr ge- ringer, auf klassisches Performance Chasing und damit verbundene relative Bewertungs- effekte hereinzufallen. Umgekehrt könnten entsprechende Extreme in der relativen Bewertung je nach Mandat genutzt werden, antizyklisch Bestände auf- beziehungsweise abzubauen, wenn Hinweise für eine Mean Reversion vorliegen. Für die strategische Asset Allocation wäre es dagegen sinnvoll, auf wirklich robustes, strukturelles Alpha zu setzen, das die sehr kleine Anzahl „echter“ Faktoren liefert. DR. MARKO GRÄNITZ Alpha ist nicht gleich Alpha Zusammenspiel von Neubewertungs- und strukturellem Alpha beim Profitabilitäts-Faktor Unternehmen mit hoher Profitabilität haben sich in den letzten 30 Jahren deutlich besser entwickelt als Unternehmen mit niedrigen Gewinnspannen. Dadurch konnten Investoren bei diesem Faktor einen hohen Vermögenszuwachs erzielen (rote Linie). Allerdings haben sich verschiedene relative Bewertungsmultiplikatoren für die profitabelsten Aktien in dieser Zeit mehr als verdoppelt (aggregiert in der blauen Linie). Das Problem: Es gibt keinen fundamentalen Grund, dass sich dies fortsetzt. Gleichzeitig besteht das Risiko einer Umkehr der Differenz. Wäre diese heute auf dem Niveau von 1989, würde das kumu- lative Alpha nur die Hälfte betragen. Daten: Developed Markets Large Caps ohne Berücksichtigung von Kosten im Zeitraum von 1989 bis 2021. Quelle: Arnott, R. / Ko, A. / Wu, L. (2022), Where’s the Beef?, S. 9 0,5 1 2 4 0,75 1,5 3 6 2015 2010 2005 2000 2020 1995 1990 Relative Bewertung Vermögensentwicklung 106 N o. 3/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | BACKT E S T I NG UND DATA MI N I NG

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=