Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

aktuellen Studie der Bonitätswächter gegen- über der Nachrichtenagentur Reuters. Noch im Dezember – also wenige Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine – hatten die Scope-Experten mit einem russi- schen Wachstum von 2,7 Prozent gerechnet. Zweistelliger Einbruch Der Einbruch könnte sogar noch dra- matischer ausfallen – abhängig von der Dauer und den weiteren Folgen des Krieges, dem Ausmaß der russischen Finanzkrise und der Wahrscheinlichkeit weiterer internationaler Sanktionen. Noch düsterer sind die Prognosen von Ökonomen des Institute of International Finance (IIF): Es sagt für heuer ein Schrumpfen des russischen BIP um 15 Prozent voraus, dem 2023 ein weiteres Minus von drei Prozent folgen soll. „Insge- samt bedeuten unsere Prognosen, dass die aktuellen Entwicklungen die wirtschaftli- chen Gewinne von etwa 15 Jahren zunich- temachen werden“, so das IIF. Schmelzende Reserven Rein von der BIP-Dynamik würden die Sanktionen also Russland stärker treffen als die EU und Deutschland, wo ja BIP-Rück- gänge von bis zu sechs Prozent erwartet werden. Das wirkt sich auch auf die Finanz- reserven Russlands aus: Gelitten hat bereits der Nationale Vermögensfonds, in dem die Öleinnahmen von Russland angelegt wer- den. Dessen Wert schmolz im Februar um 11,5 Prozent zum Vormonat auf 154,8 Milliarden Dollar, wie aus Daten des Finanzministeriums her- vorgeht. Grund dafür ist der sinken- de Wert russischer Unternehmen, in denen Geld angelegt wurde. So hal- bierte sich der Wert der Beteiligung an der größten russischen Bank Sberbank auf rund 1,5 Billionen Rubel. Politische Nebeneffekte Damit ist man versucht, die Dis- kussion zu schließen, scheinen die Makro-Daten doch eindeutig darauf hinzudeuten, dass die Sanktionen den militärischen Aggressor tatsäch- lich stärker treffen als die westlichen Staaten. Die Zahl der sanktionierten Personen und Unternehmen, die – wie erwähnt – auf mehr als tausend beziffert wird, lässt allerdings den Verdacht aufkeimen, dass die Gemen- gelage nicht ganz so klar ist. Denn je größer ein System, desto höher die damit verbun- dene Komplexität. Zu diesem Schluss kommt auch Rick Keerati von der Colum- bia Business School. Der Ökonom hat in seiner Arbeit „The Unintended Consequen- ces of Financial Sanctions“ die erste Russ- land-Sanktionsrunde analysiert, die von den USA im Jahr 2014 unmittelbar nach der Invasion der Krim ausgesprochen wurde. Die Intention des damaligen US-Präsi- denten Barack Obama war, „die Isolation Russlands voranzutreiben und die ökono- mischen Kosten für Russland in den Berei- chen, die für Präsident Putin und die, die ihm nahestehen, wichtig sind, in die Höhe zu treiben“. Das waren klare persönliche Vorgaben, die auf die herrschende Schicht in Russland abzielten. Um als erfolgreich eingestuft zu werden, hätten die Sanktionen also auf der ersten Ebene die russische Wirtschaft per se und auf einer zweiten Ebene die politisch- oligarchische Elite sowie Präsident Putin schwächen müssen. Besonders interessant ist der Ansatz Keeratis, weil er sich bei der Analyse nicht auf die Makro-, sondern die Unternehmens- ebene begibt. Die Fragestellung der Unter- suchung: Wie gut ist es gelungen, system- nahe Banken und Non-Banken tatsächlich von den internationalen Märkten bezie- hungsweise Finanzmärkten zu isolieren? Da das Sanktionsziel sehr spezifisch ist und eben nicht auf die gesamte russische Wirtschaft abzielt – nicht zuletzt um unnö- tige Härten für die Gesamtbevölkerung zu vermeiden –, vergleicht er Kennzahlen wie den externen Verschuldungsgrad, die Unter- nehmensgröße oder die Profitabilität von sanktionierten Banken und Non-Banken mit denen von nicht sanktionierten Banken und Non-Banken. Die Datenlage Aus diversen Datenbanken wie FactSet oder dem IFRS-Report bezieht er von allen russischen Unternehmen mit einem Vermögen von zumindest 50 Millio- nen US-Dollar die entsprechenden Informationen für den Zeitraum 2013 bis 2016. Insgesamt kommt er so auf ein Set von 8.435 Unterneh- men. Von diesen waren 7,7 Prozent beziehungsweise 646 Unternehmen von Sanktionen betroffen, der Rest nicht. Die Auswertung der Firmencha- rakteristika hat per 31. 12. 2013 – also unmittelbar vor Verhängung der Sanktionen – ergeben, dass„ sanktio- nierte Firmen im Schnitt deutlich größer waren als nicht sanktionierte Unternehmen“, wie Keerati erklärt. Während betroffene Firmen im Durchschnitt ein Vermögen von 3,2 Milliarden Dollar ausweisen, sind es » Ziel ist es, die ökonomischen Kosten für Präsident Putin und die, die ihm nahestehen, zu erhöhen. « Barack Obama, US-Präsident a. D., zu den Sanktionen 2014 Plakativ, aber kontrollierbar Europäische Ölpreise wären gar nicht so sehr das Problem Während der Ölpreis inflationsbereinigt schon höher notierte, sind die europäischen Gaspreise vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Bei Redak- tionsschluss hoffte der Weisenrat auf eine Normalisierung. Quelle: Feld, SVR 0 25 50 75 100 125 150 175 200 225 250 275 Ölpreis (Brent) (USD/Barrel) Erdgaspreis Henry Hub (USD/MWh) Erdgaspreis EGIX THE (Euro/MWh) Futures Realer konstanter Preis 2019 2020 2021 2022 2023 Euro/MWh, USD/MWh, USD/Barrel 92 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com SCHWERPUNKT UKRA I NE SANKT I ONEN FOTO: © 2014 BLOOMBERG FINANCE LP | PETE MAROVICH

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