Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

W irtschafts- und Finanz- sanktionen sind seit der Nachkriegszeit ein pro- minentes Interventions- instrument der westlichen Industrienatio- nen. Nicht zuletzt die USA haben sich die- ses Mittels durchaus intensiv bedient. Laut Daten des Office of Foreign Asset Control, einer Sektion des U.S. Department of the Treasury, und der Global Sanctions Data Base haben die USA seit Ende des Zweiten Welt- krieges 365 Sanktionen gegen insge- samt 124 Staaten verhängt. Derzeit laufen 37 Sanktionsprogramme gegen 30 Staaten sowie tausende Einzelper- sonen und Unternehmen. Derartige Maßnahmen sind nie unum- stritten – insbesondere trifft das auf die aktuellen Maßnahmen von EU, USA und Großbritannien gegen Russland zu. In meh- reren Runden wurden die Sanktionen dabei erweitert, bei Redaktionsschluss waren laut der Rechtsanwaltskanzlei Noerr mehr als tausend Unternehmen und Einzelpersonen von Strafmaßnahmen betroffen (Anm: Shortlist der relevantesten sanktionierten Unternehmen siehe vorletzte und letzte Seite des Arti- kels) , ein vollkommenes Ölembargo per sofort stand zur Diskussion, Un- klarheit herrschte über die Möglich- keit, Gasimporte zu sanktionieren. Eine Frage des Möglichen Gerade das Thema Öl und Gas zeigt aber, wie diffizil der Umgang mit Sanktionen und die damit einher- gehenden Diskussionen sind. Wäh- rend Sanktionsbefürworter mit den Maßnahmen die Finanzierung des russischen Angriffskrieges beenden wollen, äußern Kritiker den Ver- dacht, wonach solche Sanktionen nicht die gewünschten Effekte erzielen und obendrein den Sanktionsverhängern mehr schaden könnten als den Sanktionierten. Dass ökonomische Maßnahmen auch die Wirtschaft in der EU negativ beeinflussen, ist in diesem Zusammenhang klar; wen sie tatsächlich am stärksten treffen, hingegen nicht so. In einer nüchternen Analyse fasst deshalb etwa der ehemalige Wirtschaftswei- se und aktuelle Berater des deutschen Fi- nanzministers, Lars Feld, die Konsequenzen für Deutschland und Europa zusammen: Demnach wäre beispielsweise eine klare Konsequenz, dass sich die Inflation, die bereits im vermeintlichen Nachhall der Pan- demie im Steigen begriffen war, weiter ver- festigt. Die Prognosen aus dem November 2021 müssten demnach korrigiert werden, „obwohl die ja zeitlich sehr nahe an uns dran sind“. Die Ungleichgewichte einer starken Nachfrage bei gleichzeitigen Problemen auf der Angebotsseite hätten sich durch mitun- ter vollkommen unterbrochene Versor- gungsketten verstärkt (siehe Chart „Ver- schärfung von Ungleichgewichten“) . Hinzu kommen die Auswirkungen der Sanktionen, die bereits jetzt zu Verwerfungen an den Energie- und Rohstoffmärkten ge- sorgt hätten. „Dabei ist der Ölpreis gar nicht das Problem.“ (Siehe Chart „Plakativ, aber kontrollierbar“.) Dieser sei nach Kaufkraft gerechnet in den 1970er-Jahren höher gewe- sen. „Aber Gas ist so teuer wie nie zuvor.“ Rezessionsgefahr Diese Effekte würden sich logi- scherweise mit jeder Sanktionsver- schärfung verstärken. „Bei einem vollkommenen Importstopp muss man mit einem BIP-Rückgang von zwei Prozentpunkten rechnen, wir würden also in eine milde Rezession schlittern.“ Feld führt aber auch andere Schätzungen ins Treffen, in Die neuen Sanktionen gegen Russland stehen stark in der Diskussion, bezweifeln ihre Gegner doch unter anderem die Treffsicherheit der Maßnahmen. Eine brandaktuelle Studie zu den Auswirkungen der 2014er-Sanktionswelle gegen Russland lässt unerwartete Zusammenhänge zutage treten. Verschärfung von Ungleichgewichten Die Angebotsengpässe in Europa haben sich verschärft. Die Indizes bilden die Engpässe ab, denen sich die europäische Industrie ausgesetzt sieht. Mit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind Lieferengpässe im Bereich Material und Vorprodukte dominant geworden. Quelle: Feld, SVR 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % Nachfrage Finanzierung Arbeitskräfte Material und Vorprodukte 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2022 Prozent » Der Ölpreis ist gar nicht so sehr das Problem, der Gaspreis hingegen schon, (…) der ist so hoch wie nie zuvor. « Lars Feld, Ökonom, derzeit u. a. Berater des deutschen Finanzministers Kollateral schäden 90 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com SCHWERPUNKT UKRA I NE FOTO: © ANDREAS ENDERMANN, CORONA BOREALIS | STOCK.ADOBE.COM SANKT I ONEN

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