Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

Die auffälligste Abweichung von diesem Muster zeigt der chinesische Aktienmarkt. Hier schlägt die Marktentwicklung eine dem Sentiment-Schock entgegengesetzte Richtung ein. Bei den Rohstoffmärkten ist zu erkennen, dass die Reaktion bei Rohöl sehr stark ausfällt und dass es sich um eine wiederholt auftretende, anhaltende Reaktion handelt, die dem Schock des Sentiment Scores ähnlich ist. Das bedeutet, dass ne- gative Sentiment-Schocks eine wiederholt negative Reaktion bei den Rohölrenditen auslösen. Gold überrascht Bemerkenswert ist weiters, dass der Goldpreis nicht, wie man erwarten würde, auf negative Stimmungsumschwünge mit einem kurzfristigen Anstieg reagiert, son- dern im Fall der Eskalation in der Ukraine mit fallenden Notierungen. Der Autor glaubt, dass es sich um einen kurzfristigen Effekt handelt und die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum weiter untersucht werden sollten. Das Fehlen der Safe-Haven- Eigenschaft von Gold könnte auf die erhöh- te Unsicherheit den Ausgang des Krieges betreffend zurückzuführen sein. Das könnte die Investoren dazu veranlassen, sich län- gerfristig nicht bei Gold zu engagieren. Der US-T-Bill-Markt scheint das erwar- tete zyklische Verhalten zu zeigen, da nega- tive Sentiment-Schocks zu positiven Be- wegungen und damit zu Kursanstiegen am T-Bill-Markt führen. Das deutet darauf hin, dass sich Investoren auf eine Rezessions- periode einstellen. Das Gegenteil gilt für Bitcoin, wo sich die Renditen zusammen mit dem Sentiment Score bewegen. Wie es scheint, nehmen Investoren Bitcoin als tra- ditionelles Marktinstrument und nicht als Safe-Haven-Asset wahr. Devisenmärkte Schließlich kann man gemischte Ergeb- nisse auf dem Devisenmarkt feststellen, wo- bei der US-Dollar eine entgegengesetzte Reaktion, gefolgt von einer kleinen Korrek- tur, gegenüber dem Sentiment-Index an den Tag legt. Der Autor meint, dass dieser Effekt durch den Ölmarkt verursacht wird, weil ein negativer Ausgang des Konflikts die Ölkäufer in Richtung US-Öl treiben würde, was zu einer Aufwertung des US- Dollars führen sollte. Die anderen Währungen in der Stichpro- be, darunter der Rubel, reagieren positiv auf positive Nachrichten, worauf eine Korrektur folgt. Es ist interessant zu sehen, dass nicht alle Ergebnisse in beiden Analysen, der hier dargelegten Sentiment-Score-Analyse und jener auf Basis der Anzahl der Tweets, be- stätigt werden. Der Rubel reagiert kurzfris- tig stark negativ auf einen zahlenmäßigen Anstieg der Tweets, diese Reaktion klingt aber sofort wieder ab. Der Wechselkurs des Rubels wird als Cross Rate RUB/USD ab- gebildet. Daher deutet ein Anstieg des Index auf eine Abwertung des Rubels hin. Ab- schließend sei auf die interessanten Ergeb- nisse für den chinesischen Renminbi hinge- wiesen, der eine anhaltende entgegengesetz- te Reaktion auf den Sentiment Score und eine positive Reaktion auf die Anzahl der Tweets zeigt. Daraus kann man auf einen positiven Effekt des Krieges auf die chine- sische Währung schließen. Der Effekt tritt sofort ein, innerhalb von zehn Minuten nach dem Schock, und scheint für mindestens eine Stunde danach Bestand zu haben. Abgesehen von den Ergebnissen für die einzelnen Märkte hält der Autor fest, dass es einige Diskrepanzen zwischen den bei- den Metriken (Sentiment Score und Anzahl der Tweets) gibt. Dieser Befund ist wichtig, da sie auf eine Einschränkung bei der Ver- wendung der Stimmungsanalyse als bestim- menden Faktor für Marktereignisse hinwei- sen. Die beiden Metriken erfassen in eini- gen Fällen entgegengesetzte Reaktionen. Dieses Ergebnis muss weiter untersucht werden. Zum Beispiel ist der Stimmungsin- dex unter Umständen nicht in der Lage, die Eskalation des Konflikts vollständig abzu- bilden, was möglicherweise darauf zurück- zuführen ist, dass bestimmte Wörter im Zusammenhang mit dem Krieg in einem anderen Kontext verwendet werden, oder dass nur englischsprachige Ereignisse aus- gewertet wurden. Andererseits kann die Anzahl der Tweets ein ziemlich genauer Indikator für die öffentliche Wahrnehmung der Bedeutung des Vorfalls sein, er kann aber nicht erfassen, ob der Schock positiv oder negativ ist. Politische Implikationen Die Durchführung einer Stimmungsana- lyse an einer großen Stichprobe von mehr als 42 Millionen Tweets zum Ukraine- konflikt kann als Möglichkeit betrachtet werden, die öffentliche Wahrnehmung der Konfliktsituation zu ermitteln. Dabei stellt der Autor fest, dass die meisten Indizes eine sofortige negative Reaktion auf „Schocks“ im Zusammenhang mit dem Konflikt inner- halb von zehn bis 20 Minuten nach dem Schock aufweisen, wobei in der Regel da- nach eine kleine Korrektur erfolgt. Rohöl zeigt einen stark negativen Effekt, der eine Stunde nach dem Schock noch anzuhalten scheint, während Erdgas gemischte Ergeb- nisse ohne klares Resultat zeitigt. Gold scheint keine Safe-Haven-Eigenschaften zu haben, da es sich nicht entgegengesetzt zu den anderen Indizes bewegt. Dasselbe gilt für Bitcoin. Was die Fiat-Währungen be- trifft, so reagieren die meisten, einschließ- lich des russischen Rubels, negativ – mit Ausnahme des US-Dollars und des chinesi- schen Renminbi, die als Folge des Krieges aufzuwerten scheinen. Was den US-Dollar betrifft, so glaubt der Autor, dass das Ergebnis durch den Ölmarkt bestimmt wird, da besorgte Käufer auf US- Öl ausweichen. Was den chinesischen Ren- minbi anbelangt, so gibt es keine eindeuti- gen Ergebnisse. Die Resultate sind wohl Ausfluss der Erwartungen der Investoren, dass China von dem bewaffneten Konflikt in Europa profitieren wird. Noch viel Forschungsarbeit Polyzos betont, dass seine Arbeit auffäl- lige Asymmetrien in den wirtschaftlichen Auswirkungen der Krisensituation sichtbar macht, was er dahingehend interpretiert, dass bestimmte Länder, nämlich die USA und China, letztlich Profiteure dieses Kon- flikts sein könnten. Der Autor ist davon überzeugt, dass sich Twitter-Nachrichten als geeignetes Instrument zur zeitnahen Erfas- sung der öffentlichen Meinung beziehungs- weise der Marktstimmungen erweisen wer- den. Man kann heute davon ausgehen, dass Polyzos nicht der letzte Kapitalmarktfor- scher gewesen sein wird, der sich mit dem Ukraine-Russland-Konflikt insbesondere im Hinblick auf die mittel- bis langfristigen Folgen auseinandersetzt. Seine Ergebnisse können als Ausgangsbasis für mittel- und längerfristige Analysen dienen. Somit bleibt nur mehr zu hoffen, dass es zu einer raschen und nachhaltigen Lösung des Konflikts und einer Rückkehr des Friedens auf dem euro- päischen Kontinent kommt. DR. KURT BECKER 88 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com SCHWERPUNKT UKRA I NE REAL - T IME - E F F EKT E

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