Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

denkbar. Nur deshalb ist es sinnvoll, die Frage zu stellen, ob die „Twitter-Gemeinde“ über ein kollektives Wissen verfügt, das als Prognoseinstrument taugt – im Fall eines tatsächlich überraschenden Naturereignisses wäre dies ja nicht möglich. Der Forscher aus Abu Dhabi machte sich daher auf die Suche nach Real-Time-Auswirkungen der Ereignisse auf wirtschaftliche Indikatoren. Ein traditionell verwendetes Instrument zur Modellierung unmittelbarer Folgen von Schocks auf bestimmte Variablen in einem System mit Rauschen ist die Verwendung von Impuls-Antwort-Funktionen (Impulse Response Function, IRF), die auf vektorau- toregressiven (VAR-)Modellen aufbau- en. Daher setzt auch der griechische For- scher in diesem Fall darauf. Impuls-Ant- wort-Funktionen sind ein Instrument der Zeitreihenanalyse und sollen die Auswir- kungen von Impulsen, die zu bestimm- ten Zeitpunkten auftreten, auf den wei- teren Verlauf der Zeitreihe ermitteln. Methodik und Daten Der Autor verfolgte den Verlauf der Ereignisse durch Beobachtung der Akti- vitäten in den sozialen Medien. Er lud mit der Entwicklersoftware Twitter-API Tweets herunter, die weltweit gepostet wurden, und filterte diese Daten nach einer begrenzten Anzahl von Schlüssel- begriffen. Alle Begriffe bezogen sich auf die Ukrainekrise. Polyzos dazu: „Wir haben uns dafür entschieden, die Anzahl der Schlüsselwörter zu limitieren, weil wir erstens glauben, dass alle verwende- ten Beiträge mit Sicherheit mindestens eines der definierten Schlüsselworte ent- halten, und weil wir zweitens die Daten- menge überschaubar halten wollten.“ Aus letzterem Grund entschied man sich auch dafür, nur englischsprachige Tweets zu analysieren. Ein Hinzufügen anderer Sprachen – so die Befürchtung – hätte die Ergebnisse der Stimmungs- analyse verzerren können. Den Impact von Tweets berücksichtigte Polyzos üb- rigens nicht. Erstens weil der Einfluss einzelner Nutzer sehr unterschiedlich ist, und zweitens weil sich dieser Einfluss – gemessen an „Likes“, „Retweets“, „Ant- worten“ und „Zitaten“ – im Lauf der Zeit ändert. Auch nach potenziellem Rauschen, das von einzelnen Usern aus- gehen könnte, wurde nicht gefiltert. Der Autor glaubt, dass die Stichprobe groß genug war, um sicherzustellen, dass ein all- fälliges Rauschen keine signifikanten Aus- wirkungen haben sollte. Die Finanzdatenreihen, die Efstathios Polyzos den Nachrichten gegenüberstellte, stammen von Bloomberg und sind in der Tabelle „Finanzkennzahlen“ dargestellt. Dabei verwendet er Kursdaten im Fünf-Mi- nuten-Abstand, um die unmittelbare Reak- tion dieser Indikatoren auf Veränderungen in der Twitter-Stimmung zu messen. Diese Wahl hat den Nachteil, dass man sich nur auf Indizes konzentrieren kann, die in sol- chen Abständen von Bloomberg aktualisiert werden. Daher umfassen die Daten Aktien- marktindizes, wobei jene für die USA, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutsch- land und China ausgewählt wurden. Die USA dient dabei als Stellvertreter für einen globalen Indikator. Großbritannien, Frank- reich und Deutschland stehen stellvertretend für den europäischen Markt, der aufgrund seiner räumlichen Nähe zum Krisenherd mit stärkeren Auswirkungen konfrontiert sein könnte, während China einen großen Markt außerhalb Europas repräsentiert. Da- rüber hinaus umfasst der Datensatz die Prei- se von wichtigen Rohstoffen im Energiesek- tor (Erdöl und Erdgas), von denen erwartet Methodik Wortwolke der Begriffe in Tweets, die zur positiven und negativen Stimmung beitragen NEGATIVE BEGRIFFE POSITIVE BEGRIFFE Um die Auswirkungen in den Tagen vor der Krise zu erfassen, lag der Startpunkt des untersuchten Datenzeitraums am 15. Febru- ar 2022, 0.00 Uhr (GMT). Die Stichprobe endet am 26. Februar um Mitternacht (GMT) und damit drei Tage nach Kriegsbe- ginn. Polyzos konzentrierte sich bewusst auf den Zeitraum rund um den Kriegsbe- ginn – weil die Informationsdichte in dieser Phase noch spärlich und somit einzelne neue Nachrichten potenziell einflussreicher waren. Der resultierende Datensatz von Tweets umfasst imposante mehr als 42,7 Millionen Beiträge. Die herausgefilterte „Wortwolke“ umfasste die 500 wichtigsten Begriffe (siehe Bild), die zu positiven und negativen Stimmungen eines Datensatzes beitragen. Quelle: Studie 84 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com SCHWERPUNKT UKRA I NE REAL - T IME - E F F EKT E

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