Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

A m Morgen des 24. Februar 2022 begann ein Krieg, der sich zum bedeutendsten be- waffneten Konflikt auf dem europäischen Kontinent seit dem Zwei- ten Weltkrieg entwickeln könnte. Infol- ge des parallel zum Kampf mit Waffen geführten Informationskrieges differie- ren die bisher kolportierten Daten be- trächtlich: So berichtete etwa die ukrai- nische Seite Mitte April von rund 20.000 gefallenen russischen Soldaten, während Russland deren Zahl zur sel- ben Zeit mit einigen Hundert bezifferte – das macht eine Lagebeurteilung schwierig. Auch was die Zerstörung der Infrastruktur des Landes betrifft, ist man auf grobe Schätzungen angewiesen, Reuters sprach bis Mitte März von Sachschäden in Höhe von mehr als 100 Milliarden US- Dollar. Und was der Konflikt jenseits der Grenzen der Ukraine und des europäischen Kontinents hinaus an Schäden verursacht, kann man nicht einmal mutmaßen. Fest steht nur, dass dadurch in einer vernetzten Weltwirschaft eine Kaskade von Pro- blemen ausgelöst wird. Und die treffen die Wirtschaft in einer Phase, in der sie ohnedies noch massiv unter den Folgen der Pandemie leidet. Zuletzt sah man hier ja infolge neuerlicher Corona- ausbrüche in Regionen in China sogar einen massiven Rückfall. Angesichts einer solchen Katastrophe besteht ein enormer Bedarf an Informa- tionen darüber, wie sich diese Auseinan- dersetzung konkret in einzelnen Regionen und Wirtschaftszweigen auswirkt bezie- hungsweise auswirken wird. Alle Wirt- schaftsforschungsinstitute der Welt dürf- ten derzeit daran arbeiten, die – letztlich unvorhersagbare – mögliche weitere Entwicklung in ihre Modelle einzuarbei- ten, um politischen Entscheidern zumin- dest Szenarien anbieten zu können. Und dabei ist auch das Tempo ein wesentlicher Aspekt. Beim Versuch, hier rasch Licht ins Dunkel zu bringen, steht heute dank der Dichte an sozialen Medien ein Analyse- instrument zur Verfügung, das es früher nicht gab: ein globales Stimmungsbild, das sich aus dem Datenverkehr des Kurznach- richtendienstes Twitter ableiten lässt. Diese Hoffnung hegte zumindest Efstathios Polyzos, Assistant Professor of Finance am College of Business der Zayed University in Abu Dhabi. Der Finanzwissenschaftler ging der Frage nach, ob sich aus dem Meer der Twitter-Diskussionen Rückschlüsse auf den Verlauf des Ukrainekonflikts ziehen las- sen. Er wertete dazu Fünf-Minuten-Daten dahingehend aus, ob sich aus der zuneh- menden Angst der Twitter-Gemeinde – so- fern diese aus den Nachrichten ablesbar ist – Rückschlüsse auf eine Reihe von Finanz- und Wirtschaftsindikatoren ziehen lassen. Im Detail wurde geprüft, ob es einen Zu- sammenhang zwischen Twitter-Stimmung und Aktienmärkten, Rohstoffpreisen, Wech- selkursen und Kryptowährungsentwicklun- gen gibt. Dabei konzentriert er sich auf den Zeitraum vom 15. bis zum 26. Februar 2022, um die Auswirkungen der Unsicher- Die hohe Nachrichtendichte und die Möglichkeit einer Diskussionsteilnahme von Millionen Menschen über Twitter wecken die Neugier der Finanzmarktforschung. Eine Studie ging der Frage nach, ob sich rund um den Überfall auf die Ukraine aus Stimmungsindikatoren Markttrends vorhersagen lassen. Twitterfrequenz Anstieg der Tweets im Vorfeld des eigentlichen Kriegsbeginns Der Analysezeitraum der Tweets mit entsprechenden Schlüsselwörtern zum Russland-Ukraine-Krieg beginnt am 15. Februar 2022 um 0.00 Uhr und endet am 26. Februar 2022 um 24.00 Uhr (jeweils GMT). Interessanterweise sind Spitzenwerte im Twitter-Verkehr in den Stunden vor einem wichtigen Ereignis sichtbar. Quelle: Studie 0 250 500 750 1.000 Anzahl an Tweets Putin anerkennt Separatisten-Regionen Lugansk und Donezk Biden verkündet Sanktionen Ukraine ruft den Staatsnotstand aus Putin kündigt militärische Operationen an 26. Feb 24. Feb 22. Feb 20. Feb 18. Feb 16. Feb Tweets pro Stunde in 1.000 » US-Dollar und Renminbi scheinen positiv auf negative Ukrainekriegs- ereignisse zu reagieren. « Efstathios Polyzos, Zayed University, Abu Dhabi, VAE Echtzeitanalyse via Twitter 82 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com SCHWERPUNKT UKRA I NE FOTO: © ZAYED UNIVERSITY, METAMORWORKS | STOCK.ADOBE.COM REAL - T IME - E F F EKT E

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