Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

Ist denn der offizielle Charakter, die Nähe zur Regierung, das Problem? Philippe Zaouati: Das ist nicht, was ich kriti- siere. Ich kritisiere vielmehr den Umstand, dass die Definition und die Anforderungen, die an das Label gestellt werden, seither nicht weiterentwickelt und angepasst wur- den. Die Welt und die ESG-Landschaft haben sich aber in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Aus diesem Grund kann man meiner Ansicht nach ein solches Label nicht mehr so vergeben wie früher. Bei seiner Einführung war das französische SRI-Label dem Marktdurchschnitt weit voraus, inzwischen hinkt man ihm regel- recht hinterher. Verkürzt gesagt kann heute im Prinzip nahezu jeder Anbieter das Siegel beantragen und erhält es dann auch. Damit ist es im Grunde nutzlos geworden. Aber Sie sind doch sicher nicht der Einzige, der das erkannt hat und bemängelt? Philippe Zaouati: Keineswegs, das sagt sogar die Regierung selbst. Vor anderthalb Jahren hat das Finanzministerium ein Audit durch- geführt, und der anschließende Bericht war sehr deutlich in seiner Forderung, dass es erheblicher Veränderungen bei Verwaltung und Anforderungen in Bezug auf das SRI- Label kommen muss. Nur tut man sich damit alles andere als leicht, weil das beste- hende Label sehr weit verbreitet ist. Ent- sprechend hoch ist inzwischen das Volumen der Vermögenswerte, die das Siegel tragen. Das versetzt die Regierung in eine Art Zwickmühle: Einerseits will man den Stan- dard der Vergabekriterien anheben, ande- rerseits würde damit das Volumen der mit einem Label versehenen Vermögenswerte sinken. Eine solche Botschaft an den Markt will man verständlicherweise verhindern. Was schlagen Sie vor? Philippe Zaouati: Eine der Lösungen könnte darin bestehen, ein Etikett mit verschiede- nen Stufen zu entwickeln – zum Beispiel eine Standardstufe, die ungefähr dem heuti- gen Label entspricht, und darüber hinaus ein Drei-Sterne-Label, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Fonds stärker auf einen mit seinen Investments verbunde- nen Impact, eine Wirkung, ausgerichtet ist. Außerdem müsste eine stärkere Verbindung zwischen einem solchen Label und der EU- Offenlegungsverordnung SFDR hergestellt werden. Denn machen wir uns nichts vor: Die SFDR-Verordnung wird zu einem weit- hin beachteten ESG-Standard, auch wenn das ursprünglich nicht ihr Zweck war. Aber der Markt hat entschieden, dass sie zum Standard wird, übrigens nicht nur in Euro- pa, auch kanadische oder asiatische Inves- toren fragen uns, ob unsere Produkte Artikel 8 oder Artikel 9 der SFDR entsprechen. Wir können auf solche Fragen gut antworten, weil alle unsere Fonds gemäß Artikel 9 „dunkelgrün“ sind, also explizit ein nach- haltiges Anlageziel verfolgen. Aber insge- samt tun das nur drei Prozent des Fonds- universums. Und auch Artikel 8 entspre- chen erst 30 Prozent aller Fonds, obwohl zwei Drittel aller Zuflüsse heute schon in diese beiden Produktkategorien gehen. Das versetzt Europa in die Lage, eine globale ESG-Norm zu setzen, auch wenn die Defi- nition hinter den entsprechenden Artikeln noch zu schwach ist. Beim Stichwort Standardsetzung: Wo stehen wir in dieser Frage in Bezug auf den Bereich der Green Bonds? Philippe Zaouati: Grundsätzlich hat nicht nur die UN-Klimakonferenz vom September vergangenen Jahres gezeigt, dass die Welt sich auf einem katastrophalen Kurs in Bezug auf die globale Erwärmung befindet. Des- halb ist die deutlich gestiegene Nachfrage nach grünen Anleihen natürlich sehr zu begrüßen. Die darin investierten Mittel ha- ben inzwischen ein Volumen von 1,6 Billio- nen US-Dollar erreicht. Immer mehr Inves- toren leisten mit einem Investment in grüne und nachhaltige Anleihen einen Beitrag » Die tief hängenden Früchte sind geerntet, was die Integration von Nachhaltigkeit wie auch einiger sozialer Aspekte in die Investmentent- scheidungen institutioneller Investoren betrifft. « Philippe Zaouati, CEO von Mirova 74 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PH I L I PP E ZAOUAT I | MI ROVA FOTO: © FRANÇOIS DABURON

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