Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

heftig geführt, allerdings aus anderen Grün- den. Das wesentliche Problem besteht aus meiner Sicht nicht in der Frage, ob Kern- energie ein nachhaltiges Investment sein darf. Das eigentliche Problem ist der Um- stand, dass die Taxonomie nicht das richtige Instrument war, um dieses Thema zu be- handeln. Wir wissen durchaus, dass wir in Europa insgesamt ein großes Problem mit dem Energiemix haben. Und es gibt sehr wohl eine deutsche, eine belgische und eine französische Energiepolitik, die versucht, damit umzugehen. Was wir bisher aber nicht haben, das ist eine einheitliche euro- päische Energiepolitik, die vonnöten wäre. Das ist ein Chaos, das wir beheben müssen. Das schlechteste Werkzeug zu dessen Behe- bung aber ist die EU-Taxonomie. Warum so pessimistisch? Philippe Zaouati: Das hat mit Pessimismus nichts zu tun. Die Taxonomie ist schlicht und ergreifend nicht dafür gemacht. Sie ist vielmehr ein Werkzeug für die Finanzin- dustrie, kann aber keinen Beitrag leisten, um das Problem des Energiemix in Europa zu lösen. Im Gegenteil: Wir laufen Gefahr, dass die Taxonomie durch die Einbeziehung in diese Debatte regelrecht verschmutzt wird. Das darunter liegende Thema, ein not- wendiger und konsensfähiger Energiemix, kann nur eine gemeinsame europäische Energiepolitik lösen. Aber noch einmal zurück zum Thema Waffen. Auch Sie werden doch angesichts der kriegerischen Ereignisse in der Ukraine nicht infrage stellen, dass eine Gesellschaft insgesamt eine Möglichkeit haben sollte, sich zu verteidigen? Philippe Zaouati: Verständlicherweise gab es nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zahlreiche Diskussionen über das Thema. Und auch wir leugnen sicher nicht, dass es in einer solchen Situation von Bedeutung ist, eine Verteidigungsindustrie zu haben. Aber lassen Sie uns eines klar- stellen: Es liegt nicht am Thema ESG, dass die europäischen Länder in den vergange- nen 20 Jahren zu wenig in Waffen investiert haben. Wenn wir also heute zu dem Schluss kommen, dass auch ESG-Anbieter in diese Industrien investieren sollen, so müsste zunächst diese Industrie selbst auch akzep- tieren, dass wir ESG-Analysen für entspre- chende Unternehmen genauso durchführen können wie für andere Sektoren auch. Was wollen Sie damit sagen? Philippe Zaouati: Die ganz grundsätzlichen Bedingungen für ein Investment müssten zunächst einmal sehr viel transparenter ge- staltet werden. Es müsste zum Beispiel ein- deutig nachvollziehbar offengelegt werden, an wen die produzierten Waffen verkauft werden, was bis heute nicht der Fall ist. Man müsste als Analyst zudem konkret nachverfolgen können, wie vertrauenswür- dig solche Angaben an sich, aber auch die Endkunden am Ende der Lieferkette tat- sächlich sind. Das ist aber bisher keines- wegs der Fall. Eines der großen Probleme im Geschäft mit Waffen und Rüstungsgü- tern ist doch Folgendes: Bestimmte Waffen werden heute an Land X verkauft. Aber oft schon nach zwei oder drei Jahren weiß man nicht mehr, in welches Land Y diese Waffen weiterverkauft worden sind. Solche Frage- stellungen müssen zunächst einmal disku- tiert und für uns als ESG-Investor zufrie- denstellend geklärt werden. Dann könnten vielleicht auch wir in Zukunft investieren. Apropos emotionsgeladen: Dem heiß disku- tierten Thema Nachhaltigkeits-Label haben Sie kürzlich den klinischen Tod attestiert … Philippe Zaouati: Dazu muss ich präzisieren, dass ich damit nur ein bestimmtes Label gemeint habe, das seit 2016 vom französi- schen Finanzministerium vergebene „SRI- Label“. In der Community habe ich mir da- mit trotzdem keine Freunde gemacht. Aber man sollte immer sagen, wie es ist. Dazu muss man wissen, dass Frankreich das erste Land war, in dem solche Labels bereits vor 15 Jahren entstanden sind, erst danach folgten Luxemburg, Belgien und Deutschland. » Wir laufen Gefahr, dass die Taxonomie durch die Einbeziehung in die Energiedebatte regelrecht verschmutzt wird. « Philippe Zaouati, CEO von Mirova N o. 2/2022 | www.institutional-money.com 73 T H E O R I E & P R A X I S | PH I L I PP E ZAOUAT I | MI ROVA

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