Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

die Zurechnungsmöglichkeit betrifft? Jan Pieter Krahnen: Wenn es sich um ein ex- trem kleines Unternehmen handelt, das im Prinzip nur eine Aktivität betreibt, wäre es eventuell noch möglich, den Zusammen- hang zwischen rechter und linker Bilanzsei- te zu erkennen, sprich die Finanzierung ei- ner bestimmten Aktivität zuzuordnen. Aber selbst dort ist es extrem schwer. Denn Un- ternehmen finanzieren sich ganz überwie- gend aus ihren Umsätzen und nicht über Kredite, die sie aufnehmen. Daher wäre auch bei einem kleinen Unternehmen eine Zurechnung kaum möglich. Bei großen Un- ternehmen gilt sozusagen das Gleiche wie beim Green Bond des Bundes. Das Thema Taxonomie haben Sie erwähnt. Wurde die nicht durch die Aufnahme von Atomkraft und Gas gewissermaßen aufge- weicht? Mancher Marktteilnehmer sagt schon, man sollte sie ad acta legen. Jan Pieter Krahnen: Ich halte die Taxonomie ebenfalls für einen untauglichen Versuch, die grüne Transformation auf den Kapitalmarkt zu tragen. Aber ich glaube auch nicht, dass die Taxonomie einfach so verschwinden wird, schon weil zu viel investiertes politi- sches Kapital dahintersteht. Ich pflichte Ih- nen allerdings insofern bei, als die Grund- idee der Taxonomie meiner Meinung nach unvollständig angelegt ist. Denn die Taxono- mie in ihrer aktuellen Form geht davon aus, man könnte gewissermaßen allgemein und grundsätzlich erkennen, ob eine bestimmte ökonomische Aktivität nachhaltig ist oder nicht. Das halte ich für einen Denkfehler, weil es viel zu starr und mit einem relativ engen Korsett an die Beurteilung herangeht. Denn am Ende leben wir in einer Welt, in der es um graduelle Veränderung geht, in der sich zudem einzelne Faktoren in ihrer Ein- schätzung plötzlich ändern können. Man denke hier nur an die Atomkraft, deren Ein- ordnung als dunkelbraun oder hellgrün an- gesichts der gegenwärtigen Krisenhäufung mehr denn je zur Diskussion steht. Was ist denn Ihrer Ansicht nach schiefge- laufen bei der Erarbeitung der Taxonomie? Jan Pieter Krahnen: Sie ist am politischen Reißbrett entstanden und wurde eben nicht „bottom-up“ konzeptionell von Natur- und Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt. Geben Sie uns ein Beispiel? Jan Pieter Krahnen: Ich kann mir gut vor- stellen, dass wir irgendwann eine heute noch taxonomisch als „braun“ charakteri- sierte Aktivität als durchaus nachhaltig an- sehen, wenn diese darauf abzielt, ihren „Braungehalt“ deutlich und kontinuierlich zu reduzieren. Das wäre ein großer Sprung in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Für das gleiche Unternehmen würde aber die Skala, wie sie die Taxonomie anbietet, gar keine Unterscheidung ermöglichen, das Unterneh- men wäre eben einfach nicht nachhaltig, und als ESG-Fondsmanager könnte ich nicht investieren. In solchen Fällen bietet die Taxonomie keine für den Investoren oder den Kapitalmarkt hilfreichen Bewer- tungskriterien. Was wäre besser? Jan Pieter Krahnen: Die Taxonomie wird ohne Zweifel bleiben – aber nicht im Sinne einer Messtechnik, sondern im Sinne eines Leitgedankens für die Regelsetzung in Par- lament und Regierung. Was wir tatsächlich brauchen, ist die Offenlegung relevanter Daten – verlässliche und valide Indikatoren für die gewollten ESG-Zielwerte. Auf deren Basis können Rahmenbedingungen seitens der Politik vorgegeben werden (z. B. CO 2 - Limits), und der Kapitalmarkt kann die ver- öffentlichten Datenpunkte im Lichte der be- stehenden oder geplanten Regulierung in handlungsrelevante Marktpreise transfor- mieren. Das wäre eine sinnvolle ESG-Stra- tegie unter Einbezug des Kapitalmarktes. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Ich kann mir gut vorstellen, dass wir irgendwann eine heute taxonomisch als ›braun‹ charakterisierte Aktivität als nachhaltig ansehen. « Jan Pieter Krahnen, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt 44 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. JAN P I E T ER KRAHNEN | HOUS E OF F I NANC E FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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