Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

sein, sozusagen nicht nachhaltig sein, son- dern eher eine Übergangssituation. Denn mit höheren Preisen werden nicht nur Kon- sum- und Investitionsnachfrage sinken. Auch die Energiepreise werden zurückge- hen und nicht mehr als Preistreiber in den Lieferketten wirken. Aber dieser Prozess wird nicht ohne Wohlstandseinbußen von- statten gehen. Die hätten wir allerdings auch dann, wenn die Notenbanken gar nicht rea- gieren und die Inflation ungebremst steigen würde – die Kosten, auch die sozialen, wür- den vermutlich noch höher ausfallen. Sie haben eben beiläufig das Thema Nach- haltigkeit angesprochen. Dazu haben Sie vor Kurzem gesagt, Green Finance sei oft nur ein Placebo. Warum? Jan Pieter Krahnen: Wie der Begriff Green Finance momentan oft verwendet wird, be- schreibt er oftmals eine Illusion, also einen scheinbaren, nicht realen Sachverhalt. Soge- nannte nachhaltige Finanzkonzepte, wie sie heute vielfach von Finanzdienstleistern an- geboten werden, bleiben mit Blick auf den Begriff Nachhaltigkeit oftmals an der Ober- fläche, ohne einen ursächlichen Zusammen- hang zwischen Finanzierungsmaßnahme und Investitionslenkung zu erklären oder gar zu fordern. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis eine bessere und internatio- nal anerkannte konzeptionelle Vorstellung vorliegt, die klärt, was tatsächlich eine nachhaltig orientierte Anlagestrategie ist und was grüne Transformation eigentlich bedeutet. Ansätze dazu, etwa in Form der EU-Taxonomie, sind zwar gemacht, aber wir brauchen meines Erachtens ökonomisch besser fundierte und zielführendere Kon- zepte. Es überrascht mich noch immer, mit welcher Begeisterung die ESG-Idee von der Finanzindustrie aufgegriffen und angewen- det wurde – ohne den einigenden konzep- tionellen Rahmen. Dies lässt sich vielleicht unter dem Aspekt des Wettbewerbs und der Idee der Kommunikation mit ihren Anle- gern interpretieren. Aber mehr ist möglich. Haben Sie ein Beispiel für die „Illusion“, die mit der grünen Anlage verbunden ist? Jan Pieter Krahnen: Ein gutes Beispiel sind Staatsschuldentitel, die zum Teil heute als Green Bonds emittiert und mit dem Etikett „ESG“ versehen werden. Nach außen hin soll damit ein Zusammenhang zwischen dem grünen Finanzierungsinstrument und der tat- sächlich grünen Mittelverwendung herge- stellt werden. Bei den von der Bundesrepu- blik emittierten grünen Anleihen wird etwa vorher nach den besten grünen Projekten im Haushaltsbudget gesucht, die dann diesen grünen Anleihen gedanklich zugeordnet werden: Mit den Anleihenerlösen werden diese und jene ausgewählten Projekte finan- ziert. Der Anleihenkäufer darf annehmen, dass mit seinem investierten Geld eine nach- haltige oder ökologisch sinnvolle Maßnah- me ermöglicht wird. Wir wissen aber auch, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Anleihenkauf und Projektdurchführung nicht wirklich besteht. Weder würde das Projekt fallen gelassen, wenn die Anleihen- platzierung scheitert, noch scheitert die An- leihenplatzierung, wenn man die vorgeblich finanzierten Projekte durch andere ersetzt. Dann ist es eigentlich nicht gerechtfertigt, dass Green Bonds meist mit einem soge- nannten „Greenium“ gehandelt werden? Jan Pieter Krahnen: Das ist in der Tat eine Art „Finanzmarkträtsel“: Der Markt ist of- fenbar bereit, einen Aufschlag für einen Green Bond im Vergleich zur herkömmli- chen nicht grünen Zwillingsanleihe zu be- zahlen. Das Greenium beträgt heute je nach Ausstattung noch immer rund fünf Basis- punkte. Die geringere Rendite grüner Anlei- hen lässt sich eigentlich nur mit den Präfe- renzen der Anleger erklären – und diese er- liegen dabei offenbar dem Verständnisfehler, den ich soeben erläutert hatte. Dem Bund darf das natürlich gleichgültig sein, denn er profitiert vom Greenium. Ein unabhängiger Beobachter dagegen verzieht das Gesicht … Sieht das bei einem Unternehmen, das einen Green Bond emittiert, nicht anders aus, was » Der Markt ist offenbar bereit, einen Aufschlag für einen Green Bond im Vergleich zur herkömm- lichen nicht grünen Zwillingsanleihe zu bezahlen. « Jan Pieter Krahnen, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt 42 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. JAN P I E T ER KRAHNEN | HOUS E OF F I NANC E FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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