Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

uns in einer Zeit hoher Unsicherheit aufstel- len sollen, in der es morgen wieder zu einem neuen Rückschlag aus unerwarteter Rich- tung kommen kann, der dann erneut Anpas- sungsmaßnahmen erfordert. Auch hier ist Resilienz ein wichtiges Stichwort oder, bes- ser gesagt, der Aufbau einer Krisenhand- lungsfähigkeit. Was dies im Einzelnen be- deutet, möchte ich hier offen lassen – wich- tig ist aber, dass wir uns strukturell besser vorbereiten, um mit abrupten uns alle be- treffenden Änderungen als „New Normal“ umzugehen. Als wichtiges Stichwort möch- te ich hier Europa nennen in Abgrenzung zur Suche nach Lösungen auf nationalstaat- licher Ebene. Diesen letzteren Weg gehen wir heute fast instinktiv – denken Sie nur an den deutschen Verteidigungshaushalt, der eben nicht als europäisches Projekt, das es sein sollte, sondern als nationales Projekt gedacht und diskutiert wird. Was alles andere als einfach ist in einer Zeit der Stagflation, in der wir uns befinden. Jan Pieter Krahnen: Dass es nicht einfach ist, mit einer Situation umzugehen, in der Infla- tion und Rezession im Grunde gleichzeitig auftreten, spiegelt sich im Moment nicht von ungefähr in den teilweise heftig geführ- ten Diskussionen um eine angemessene Handlungsweise der Notenbanken wider. Derzeit stehen alle Zentralbanken vor dem Dilemma, dass sie im Grunde bei ihrem Versuch, die Inflation einzufangen, nicht viel anders agieren können als in den späten 1970er- Jahren der Vorsitzende der US-No- tenbank Fed, Paul Volcker, nämlich die Wirtschaft in eine Rezession zu zwingen. Im Unterschied zu damals kommt hinzu, dass es heute gar nicht eine überbordende Nachfragesituation ist, die man einfangen muss, sondern es sind Preisschocks, die die Inflation treiben. Es sind die gestörten Lie- ferketten, die für heftige Preissprünge durch eine Verknappung des Angebots sorgen. Das wiederum führt zu einer gewissen Eigen- dynamik, mit der sich die Teuerung entlang der Lieferkette im Prinzip fortpflanzt und auf andere Akteure ausbreitet. Das macht es für eine Notenbank sehr viel unangenehmer, auf die Bremse zu treten, weil sich natürlich auch die Notenbanker darüber im Klaren sind, dass damit Wohlstands- und Vermö- gensverlust verbunden sein werden. Wie sieht Ihr schlimmstes Szenario aus? Jan Pieter Krahnen: Dass wir eine Noten- bank haben, die nicht agiert, um die Infla- tionsrate zu senken. Durch Zinserhöhungen wird es zu einer Verteuerung der Investi- tionsfinanzierung kommen, was am Ende Investitionen und Beschäftigung vermindert und damit den Druck auf Löhne und Preise nimmt. Es wird aber kein Dauerszenario » Insgesamt gehe ich nicht davon aus, dass wir uns auf längere Sicht von einer Globalisierung entfernen werden. « Jan Pieter Krahnen, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt Finanzmarktforscher Jan Pieter Krahnen ist Professor für Kredit- wirtschaft und Finanzierung im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied im Vorstand des Leibniz-Instituts für Finanz- marktforschung SAFE. In seiner Forschung befasst er sich mit Funktionsproble- men der europäischen Finanz- marktordnung, insbesondere Banken- und Kapitalmarktauf- sicht, der grünen Transformation und Herausforderungen für die Finanzstabilität. Krahnen ist Research Fellow am Centre for Economic Policy Research, dort auch Leiter des Research Policy Networks „European Financial Architecture“, und war im Jahr 2011 Präsident der European Finance Association. Anfang 2012 wurde er von EU-Binnenmarktkom- missar Michel Barnier in die High-Level-Kommis- sion zur Reform des europäischen Bankensektors berufen („Liikanen-Kommission“). Von 2008 bis 2012 war er Mitglied der Regie- rungskommission für eine neue Finanzarchitektur („Issing-Kommis- sion“). Er war zudem Mitglied der Group of Economic Advisors (GEA) des Committee for Economic and Markets Analysis (CEMA) der European Securities and Markets Authority (ESMA) in Paris und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzminis- teriums (seit 2010). 40 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. JAN P I E T ER KRAHNEN | HOUS E OF F I NANC E FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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