Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

BR I EF DER HERAUSGEBER 4 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com D ie Konsequenz, mit der „der Westen“ der russi- schen Aggression entgegentritt, dürfte Wladimir Putin ebenso überrascht haben wie die Wehrhaftig- keit der Ukraine. Dass Russlands Wirtschaft unter diesen Sanktionen leidet und noch mehr leiden wird, steht fest. Trotzdem muss man sich als Kapitalmarktbeobachter auch die Frage stellen, in welchem Ausmaß „der Westen“, Europa und hier wiederum insbesondere Deutschland unter dieser Kompromiss- losigkeit leiden werden. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht in die Reihe jener ein- ordnen, die zu diesem Thema ihre Meinung darüber äußern, ob die Vorgangsweise richtig oder falsch ist, sondern den Blick auf die Fakten lenken. Es sind die Energiever- brauchszahlen sowie die dabei genutzten Energieträger, die Kopfschmerzen bereiten. Denn obwohl seit Jahren intensive Anstrengungen unternommen werden, die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von fossilen Brennstoffen zu senken, liegt ihr Anteil an der Primärenergiever- sorgung global immer noch bei mehr als 84 Prozent. Die USA decken gerade einmal 18 Prozent ihres Energiebedarfs mit emis- sionsneutralen Energiequellen wie Atomkraft und erneuerbaren Energieträgern, der Vergleichswert für die EU liegt auch nur bei 27 Prozent. Weltweit decken Öl etwa ein Drittel und Kohle und Gas jeweils etwa ein Viertel des Energiebedarfs. Die Hoffnungs- träger der Energiewende – Wind und Solar – liegen im Bereich von 3,3 bis 3,5 Prozent. Die Annahme, dass aus dieser Richtung in absehbarer Zeit eine nennenswerte Erleichterung kommt, muss man leider als Wunschdenken einordnen. Energiepreis- beziehungsweise Erdölpreisanstiege wie jene, die hinter uns liegen, so zeigt der historische Vergleich, lösen im Regel- fall Rezessionen aus. Eine Situation wie derzeit hatten wir aber noch gar nicht. Es ist die Rede davon, dass die westliche Industrie- welt bewusst auf einen beträchtlichen Teil des globalen Öl- und Gas- angebots verzichtet. Eine kurz- bis mittelfristige „Normalisierung“ der Beziehungen zu Russland wird ausgeschlossen, und manche sehen selbst eine langfristige Rückkehr des Landes in den Kreis der Rohstofflieferanten mit Skepsis oder lehnen sie ab. Aus Russland stammten zuletzt aber etwa 16,5 Prozent der weltweiten Gaspro- duktion, bei Rohöl waren es zirka 13,5 Prozent beziehungsweise etwas mehr als aus Saudi-Arabien. Nun kann der Westen nur für sich selbst sprechen, und Russland wird Abnehmer für seine Ener- gieträger finden – und das könnte schnell gehen. Die Idee, russi- sche Öltanker nicht mehr zu versichern, um den Verkauf von Öl zu erschweren, könnte weniger wirkungsvoll sein, als man hofft, würde die Ölverknappung aber verstärken beziehungsweise den Preis weiter nach oben treiben. Für Investoren stellen sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen: Wie kann man die Folgen eines globalen Wirtschaftsabschwungs auf die Portfolioerträge mildern? Und sollte man die Gewichtung von Energie in diversifizierten Portfolios nicht wieder anheben? 1980 lag der Anteil dieser Unternehmen am S&P 500 bei fast 30, zuletzt bei weniger als vier Prozent. Es ist klar, dass Energietitel tendenziell gemieden werden, wenn fast jeder institutionelle Inves- tor versucht, sein Portfolio ESG-konform zu gestalten. Und wenn weniger Investoren fossile Energien kaufen, sinken die Kurse, was auch die Investitionstätigkeit der Konzerne bremst … Dafür, dass sich diese Spiralbewegung nun umkehrt, gibt es erste Anzeichen, und dass ein genereller Umdenkprozess läuft, erkennt man an der neuen Bewertung von Atom- kraft oder von Rüstungsunter- nehmen. Sollte sich die westli- che Welt also tatsächlich nach- haltig von russischer Energie abwenden, macht dies westli- che Energiekonzerne zwangs- läufig wertvoller. Darüber, ob diese Fantasie nach den hinter uns liegenden Kursanstiegen bei Energieaktien schon ein- gepreist ist, herrscht bei Fach- leuten keine Einigkeit. Interes- sant ist in diesem Zusammen- hang aber eine andere Nach- richt: Nach US-Medienberich- ten hat Warren Buffetts Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway rund fünf Milliarden US-Dollar in Occidental Petroleum investiert und sein Chevron-Engagement verdoppelt. Und da Buffett nicht als Trader bekannt ist, dürften hinter diesen Käufen längerfristige Überlegungen stecken. Wir nehmen an, dass sich viele Anlageaus- schüsse in den kommenden Monaten mit diesem Thema beschäf- tigen werden. Fachlichen Input dafür könnten Sie sich am 1. und 2. Juni am Institutional Money Kongress in Wiesbaden holen. Wir würden uns sehr freuen, Sie begrüßen zu dürfen. Unangenehme Energie-Fragen Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi

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